„Sagt uns einen Ort, wo man bleiben kann“

■ Die drohende Abschiebung verstärkt die Angst der Bosnien-Flüchtlinge und reaktiviert die erlittenen Traumata. Die Bremer Behörde ignoriert das stoisch. Eine Familie aus Bosnien-Herzegowina erzählt von der Fortsetzung des Schreckens mit anderen Mitteln

„Wenn jemand zum Ausländeramt muß, wird das die Traumatisierung nicht wesentlich fördern. Tatsache ist, die müssen irgendwann zurück.“Soweit Stefan Luft, Sprecher des Bremer Innensenators Ralf Borttscheller (CDU). In der Zwei-Phasen-Rückführung der bosnischen Flüchtlinge hat die Innenministerkonferenz im Herbst '96 festgelegt, daß nach den alleinstehenden, erwachsenen Personen und Ehepaaren ohne Kinder in Phase zwei alle anderen Personen auszureisen haben. Bremen hat am 7. Mai 1997 die ersten beiden Männer abgeschoben.

Traumatisierte Personen werden zunächst bis 31. Oktober 1997 geduldet. Sie müssen gutachterlich nachweisen, daß sie mindestens seit dem 16. Dezember 1995 in ständiger ärztlicher Behandlung sind, und diese noch nicht abgeschlossen ist. Ein „ausführliches ärztliches Attest“wird angefragt mit Angaben zur Art der behandelten Erkrankungen sowie deren Schwere und Auswirkungen – mit dem Zusatz „Der Arzt ist ggf. von seiner Schweigepflicht zu entbinden.“

Solche Atteste waren bislang vierteljährlich von der Ausländerbehörde angefordert worden. In Frage kommende Personen werden nun vorgeladen und „bekommen Gelegenheit zur Stellungnahme“, so Behördenchef Dieter Trappmann. Das Bremer Innenressort beruft sich bei all diesen Reglements auf die Innenministerkonferenz. Daß die Menschen immer wieder neu in Angst und Schrecken versetzt werden, wird ignoriert. Zu den miserablen und unmenschlichen Zuständen im Ausländeramt äußert sich Sprecher Luft: „Meine Güte, das ist seit den 80er Jahren so, das muß man den Regierenden der 80er Jahre vorhalten. Wir haben zusätzliches Personal hingesteuert.“

Da Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina nur eine Duldung und keine Aufenthaltsbefugnis haben (was laut den Angaben zahlreicher JuristInnen nach dem Ausländergesetz durchaus möglich wäre), haben sie im Regelfall keinen Anspruch auf bezahlte Psychotherapie, sondern nur auf medizinische Notfallversorgung. Die angeforderten medizinischen Gutachten sind für sie im Grunde unbezahlbar.

Drei Frauen und ein junger Mann sitzen um den Couchtisch im Wohnzimmer. Jedenfalls soll das, was sie mit wuchtigen Sesseln, Stühlen und dem Sofa auf engstem Raum arrangiert haben, wohl so etwas wie die gute Stube sein. Ein Vorhang trennt das 20qm-Zimmer in zwei Hälften: Dahinter befindet sich der Schlafraum. 1993, als die Familie H.* (alle Namen sind geändert) nach Bremen kam, schliefen hier sechs Personen. Damals, 1993, fehlten schon drei Familienmitglieder, der Vater und der Großvater, der Verlobte von Irina. Inzwischen starb auch die Großmutter 62jährig – sie stürzte die Treppe hinunter – und eine der Töchter heiratete und reiste vor zwei Monaten in die USA aus. Eniza (22) sagt: „Jedes Jahr muß einer gehen, in den Himmel oder ganz weit weg.“Tränen treten ihr in die Augen.

Es gibt viele Tränen an diesem Abend. Viele zurückgehaltene, die sich kurz anschwemmen, die Augen verglasen, ein Schluchzen gibt es nicht. Die muslimisch-bosnische Familie H. hat sich bereit erklärt, ein bißchen über sich zu sprechen. Über schreckliche Erinnerungen, über das Leben in Bremen, den Mut, die Angst, den Schmerz. Über ihren Kampf um die persönliche Würde. Über das, was war? „Wir reden eigentlich fast nicht davon“, sagt Eniza. Wieder glitzern Augen. Enizas Mutter Suzanna steht auf und zieht eine Kommodenschublade auf: „Wir haben aufgeschrieben.“Drei Briefe wollten sie an die Hilfsorganisation Medica mondiale schicken, nachdem 1996 die Innenministerkonferenz die Rückführung der bosnischen Flüchtlinge beschlossen hatte. Die Briefe sollten eine einzige Botschaft haben: „Wir können noch nicht zurück.“

Diese Briefe wurden nie abgesandt, jetzt liegen Kopien auf dem Couchtisch. Wollen die Frauen, daß sie veröffentlicht werden? Stummes Nicken. (Wir dokumentieren sie in Auszügen in umstehenden Kästen.) – Familie H. stammt aus dem kleinen Dorf Ljubija in der Provinz Prijedor, heute serbisches Gebiet. 1992 haben dort serbische Soldaten (auch Nachbarn aus dem Dorf) 27 muslimische Männer auf offener Straße erschossen, Frauen vor den Augen ihrer Kinder verwaltigt, die Häuser geplündert. Eric (19) war damals 14, jetzt erzählt er zum ersten Mal: „Ich hab mich versteckt und klein gemacht. Wäre ich zwei Jahre älter gewesen, hätten die mich umgebracht.“

Ein Jahr und drei Monate waren die Frauen der Familie H. und Eric auf der Flucht. In Bremen gingen die Kinder dann zur Schule, lernten Deutsch, Mutter und Tante bemühten sich um Umschulung und Weiterbildung. Alle drei Monate mußten sie sich bei der Ausländerbehörde ihren Duldungs-Stempel holen. Jetzt sind Eliza und Eric in der Ausbildung, Mutter Suzanna (42) und Tante Olga (31) würden gerne als Köchin bzw. als Floristin arbeiten. Sie haben keine Chance, weil ihre Aufenthaltsfrist ab Mitte Juli wieder offen ist. Wie alle bosnischen Flüchtlinge haben sie (erneut) den Nachweis einer Traumatisierung zu erbringen (siehe oben).

In therapeutischer Behandlung sind alle vier, obwohl sie diese von gut 400 Mark Sozialhilfe nicht bezahlen können. Ohne die Hilfe des Vereins „Bremerinnen für Frauen aller Kulturen“würden sie sich wie viele im derzeit desaströsen Gesundheitssystem nur verstricken und sich – wie oft üblich – mit Psychopharmaka abspeisen lassen. Die Therapie ist hart. Olga seufzt: „Natürlich ist das gut, aber das mit der Wiederholung ist nicht so einfach.“– „Man muß weinen, weinen, weinen“, fügt Suzanna mit tonloser Stimme an. „Es gibt überhaupt kein Medikament dafür, wieder so zu sein wie früher“, sagt Eniza. „Ich glaube, es wird nicht weggehen, das bleibt für immer.“

Alle schweigen. Dann blickt Olga auf: „Wir haben Kopfschmerzen. Seit vier Jahren.“Suzanna verläßt abrupt den Raum, kommt gleich wieder zurück. Eniza erzählt: „Ich schlafe ein, sehr gut, dann höre ich Geräusche, erlebe alles wieder, habe Angst. Ich sehe und höre alles noch schlimmer als es war.“Dann schreit die junge Frau regelmäßig auf, ihre Mutter bringt ihr Wasser. Seit Wochen bekommt Eniza nur drei, vier Stunden Schlaf pro Nacht. Sie wirkt geschwächt und zerbrechlich und kämpft unermüdlich Tag für Tag um Anerkennung und etwas Normalität in ihrem Leben.

Ihren Ausbildungsplatz hat die 22jährige mit einem Realschulabschluß von 1,7 sich selbst gesucht: „Obwohl die von der Ausländerbehörde mir gesagt haben: Fang nicht an, das bekommst du nicht zu Ende. (Nur wer vor dem 26.1.1996 eine Ausbildung begonnen hat, darf sie in Deutschland abschließen, so die gesetzliche Regelung, d. Red.) Da habe ich Bewerbungen geschrieben, und mir immer wieder gesagt, du schaffst das schon.“Im Juni '96 fing Eniza als Azubi in einem Restaurantbetrieb an. „Mein Visum war zu Ende, ich hatte keine Arbeitserlaubnis, und der hat mich genommen! Das war drollig! Da hatte ich Glück!“Sie lacht.

Doch das Datum mit dem nächsten Termin bei der Ausländerbehörde frißt sich immer wieder ins Bewußtsein. Die beiden älteren Frauen sagen nichts dazu, zucken mit den Schultern, als seien sie bald bereit, einfach alles hinzunehmen. Eniza und Eric jedoch haben noch Mut zur Wut über die Schikane: „Da in der Ausländerbehörde sind manche so arrogant und genervt! – Da sind auch Gitter! – Wir müssen jedesmal um vier Uhr morgens hin, damit wir überhaupt eine Nummer bekommen! – Manche verkaufen die Nummern für zwanzig Mark!“

Auf einmal ist auch Eric kurz davor, zu weinen. „Ich will Konstruktionsmechaniker werden. Zwei Jahre habe ich schon, eins fehlt noch. Das wäre schrecklich für mich, wenn ich meine Ausbildung nicht fertig machen kann.“– „Ich schäme mich, wenn ich sagen muß, daß ich über das Sozialamt versichert bin.“– Seine Freunde sind türkisch, deutsch, afrikanisch. Wenn er mit ihnen zusammen ist, denkt er nicht an das, was war. „Ich hätte gerne hier Arbeit, damit ich zu Hause ein neues Haus baue und dann mit meiner Mutter zurückgehe.“– „Wir können dort nicht mit den Serben zusammenleben. Wir nicht, unsere Kinder auch nicht. Vielleicht die dritte Generation.“

Olga hat lange stumm auf ihr Glas geblickt. „Es wäre besser, wenn man an einem Ort wäre, wo man sagen kann, da kann man bleiben“, sagt sie. Eniza ist wieder den Tränen nahe. „Mein Betrieb soll das alles nicht wissen. Ich will behandelt werden wie alle anderen. Wenn ich etwas falsch mache, soll ich bestraft werden.“ Silvia Plahl

Kontakt zu „Medica mondiale e.V“über Spendenkonto Sparkasse Bonn, BLZ 380 500 00, Kt.-Nr. 45 00 163, Stichwort Bleiberecht. „Bremerinnen für Frauen aller Kulturen e.V.“, (Jutta Bahr-Jendges) oder 5 97 98 92 (Anne Albers)