„Volle Lotte aufs Freßbrett“

Mit Knochenklempnern auf du und du: Downhiller stürzen sich auf ihren Velo-Boliden mit 80 Stundenkilometern in die Tiefe
■ Von Helmut Dachale

Eigentlich machen sie nur das, was jeder Radfahrer liebt: bergabwärts fahren. Doch Downhiller brauchens hart: Schotterpisten und Steilhänge, wurzelübersäte Waldwege, scharfe Kurven, enge Singletrails. Ein paar Krüppelfichten zum Slalomfahren wären auch nicht schlecht.

Gegenanstiege mögen sie dagegen gar nicht. Um die zu bewältigen, muß zur perfekten Beherrschung der Maschine auch noch Fitneß hinzukommen. „An Steigungen wird häufig gekotzt“, sagt Harry Hoppe unverblümt. Er muß es wissen, der Mitarbeiter des Fahrradladens im Mehringhof beteiligt sich seit 12 Jahren an MTB- Rennen, als Amateur. „Um vorne im Worldcup mitzufahren, mußt du hart trainieren, täglich sechs, sieben Stunden radfahren. Das können nur die Profis“, sagt er. Aber auch Leute, die just for fun fahren, lieben es, wenn ihnen die Endorphine ins Hirn schießen. Fahren ist gut, fliegen ist geil. Auf den Highspeed-Passagen, wo nichts im Wege steht, sind Geschwindigkeiten von 60 bis 80 Stundenkilometern keine Ausnahme. Auf einer Skipiste in den französischen Alpen will sich Eric Barone, ein ehemaliger Stuntman, mit der kurzfristig erreichten Höchstgeschwindigkeit von 207 Stundenkilometern in die Tiefe gestürzt haben.

Keine Wunder, daß viele Downhiller auch auf Skifahren, Snowboarden und Skateboarden abfahren oder sich auch schon mal im Moto-Cross versucht haben. Hauptsache, es brettert. Shaun Palmer zum Beispiel, US-Profi und seit kurzem eine heiße Nummer beim MTB-Worldcup, war zuvor Weltmeister in mehreren Snowboard-Disziplinen. Auch Britta Kobes, die deutsche Downhill- Meisterin werden will, hat Anfang der neunziger Jahre noch Titel in der gleichen Sportart gesammelt. Ein wesentlicher Unterschied: Downhiller stürzen häufig und anscheinend auch härter.

Im Racefanzine „No brain no pain mag (Nobnop)“ berichten Typen, die sich selbst liebevoll als „Höllenritter“, „Grusel-Fratzen“ oder „mit Schlamm besudelte Gestalten“ bezeichnen, wie sie „volle Lotte aufs Freßbrett geknallt“ sind oder „wie ein Schädel unangespitzt in den Boden versenkt“ wurde. In solchen Fällen kann man sich keinesfalls immer auf Protektorenjacke und gepolsterte Handschuhe verlassen – auch niemals auf den Helm.

Bei Harry Hoppes letztem Sturz – sein erster ernster Unfall, betont er – ist sein Helm regelrecht geborsten. Allerdings war es kein Integralhelm, wie er mittlerweile von vielen Downhillern bevorzugt wird. „Mit so einem wäre ich ohne Gesichtsverletzungen davongekommen“, meint Harry. Doch vor den angebrochenen Rückenwirbeln, die die Ärzte anschließend bei ihm diagnostizierten, hätte ihn kein Helm der Welt bewahren können. Wer bei Tempo 50 über den Lenker absteigt, um ein paar Meter durch die Luft zu sausen, steht mit Knochenklempnern auf du und du. „Die Ärzte sagten, ich habe Glück gehabt. Ich sage, ich habe Pech gehabt.“ Wird schon wieder, Harrys nächste Rennen sind fest eingeplant.

Auf jeden Fall will er den Kurs für den nächsten „Eliminator“ ausstecken, irgendwann im Juni, irgendwo in den Berliner Wäldern. Deutlicher will der Mann aus dem Mehringhof nicht werden. Schließlich soll das Meeting ein „illegales Einladungsrennen“ werden, unangemeldet und vom BDR (Bund Deutscher Radfahrer) nicht anerkannt. Wie beim ersten „Eliminator“, ausgetragen Ende letzten Jahres in den „Müggelmountains“, wird auch diesmal die wilde Szene erwartet, die „Nobnop“ repräsentiert. Dazu zählen zwar auch Fahrer mit BDR-Lizenz, sogar Worldcup-Teilnehmer, vor allem aber autonome Amateure.

Ob Lizenz oder keine – beim Fahrzeug sind Kompromisse undenkbar. Fast alle fahren Boliden, die mit einem normalen Stadtrad soviel gemein haben wie ein Kondom mit einer Wollsocke. Ein DH- Bike ist mit seinen 14 bis 19 Kilo ziemlich schwer, obwohl die Rohre häufig aus leichtem Aluminium sind (im Oversized-Format) und auf Gepäckträger, Lichtanlage und ähnliche Banalitäten selbstverständlich verzichtet wird. Dafür ist es zumeist vorne und hinten gefedert und häufig auch noch mit Verstauchungsblechen behängt. Es hat megabreite Reifen, Tretlager und Steuerrohr sind verstärkt. Und daß die Bremsen die Geschosse möglichst punktgenau zum Stehen bringen sollten, versteht sich von selbst. Aus diesem Grund sind V- Brakes erste Wahl, experimentiert wird mit Scheibenbremsen, auf die auch Motorradfahrer schwören.

Ist das Rennen gelaufen und sind die Knochen noch heil, ist Partytime. Wenigstens die „Nobnop“- Korona macht kein Hehl daraus, daß für Downhiller das anschließende Fest einen hohen Stellenwert hat.

Wobei ihre Treffs weder Tanztees und Sportlerbälle sein sollen, eher schon Gelage. Man arbeite an der historischen Versöhnung von Sport und Alk. Downhiller sind halt Menschen, die es lieben, schnell bergabwärts zu fahren, aber auch liebend gern einen heben. Harry und seine Freunde sehen sich nicht nur als coole Jungs, sondern auch als „Stimmungsheimer und Partyschmeißer“.