Poetry and Power

Göttin mit Sonnenbrille. Jacqueline Kennedy-Onassis hat als Bild Karriere gemacht. Den Biographen Wayne Koestenbaum fasziniert an ihr die Mischung aus Aristokratie und Trash  ■ Von Karin Wieland

Was ist eine Ikone? Ihre Bestimmung liegt darin, weder die göttliche Natur Christi noch die menschliche Natur Jesu abzubilden, sondern deren wechselseitige Teilhabe in dem Einen. Auf die Frage nach der Darstellbarkeit des Unsagbaren als Unsagbares gibt die Ikone keine diskursive Antwort. Der Akt des Sich-Zeigens ist dem logischen Verstehen überlegen und nicht durch Sprache erreichbar.

Der amerikanische Literaturwissenschaftler Wayne Koestenbaum hat sich die schwierige Aufgabe gestellt, diese abendländische Theologie der Ikone auf eine amerikanische Frau anzuwenden, nämlich auf Jacqueline Kennedy- Onassis. Dazu bemüht er allerdings nicht die Bibel, sondern Roland Barthes. Dessen letztes Buch „Die helle Kammer“ handelt vom Wesen der Fotografie. Obwohl er einzelne Bilder durch seine Aufmerksamkeit aus der Masse der Fotografien hervorhebt, spricht Barthes eigentlich nur über das eine Bild, das abwesend bleibt, und das ist das Bild seiner Mutter. Damit ist auch der gravierende Fehler in Koestenbaums Vorgehen benannt: Er operiert mit dem komplexen Begriff der Ikone und versucht damit lediglich Barthes zu imitieren. Er zeigt all die Bilder, über die er spricht, und will sich durch sein Buch mit der Ikone verbinden. Das muß scheitern. Seine Imitation fällt streckenweise gezwungen philosophisch, oberflächlich und gewollt gelehrt aus. Allerdings muß man dem Amerikaner auch das Kompliment machen, daß er ein geistreiches, anregendes und originelles Buch geschrieben hat, das sich wohltuend von den üblichen „Frauenbiographien“ abhebt. Der Autor und Fan umkreist den Star, die Ikone aus verschiedenen Perspektiven, nach denen das Buch untergliedert ist. Es handelt sich also nicht um eine herkömmliche Biographie, sondern wir lesen über „Jackies Sonnenbrille“, „Jackies Kopftuch“, „Jackies Erstaunen“ oder „Jackies Ich“. Mit diesem Vorgehen gelingt es ihm, dem Leser die Figur nahezubringen und gleichzeitig Distanz zu ihr zu halten.

Wer war eigentlich „Jackie“? Ihr Leben ist mit der Fiktion verbunden. Grundlage dieser Fiktion war zunächst ihr Name „Bouvier“, den man als Beweis feiner französischer Abstammung ausgab. Den Eltern – der Vater ein reich gewordener Trinker, die Mutter eine kalte Aufsteigerin – gelang dies nicht so gut wie ihrer 1929 geborenen Tochter. Sie hatte Eleganz, Haltung und Verstand und wußte perfekt das Mädchen aus gutem Hause zu spielen. Als schlechtbezahlte Bildreporterin beim Washington Times-Herald begann Jackies romantisches Abenteuer mit dem Medium des Bildes. 1953 heiratete sie den begehrtesten Junggesellen Amerikas, John F. Kennedy.

Sie war es, die den Deal mit dessen Vater ausgehandelt hatte: Joseph Kennedy bezahlte ihre Rechnungen, und sie ertrug die Affären seines Sohnes. Ein höfisches Arrangement in einer kapitalistischen Welt.

Wie gut sie ihre Aufgabe erfüllte, sieht man auf den Fotos aus den fünfziger Jahren. Sie zeigen eine glückliche Mutter und verliebte Ehefrau. Diese Bilder wurden 1961 gekrönt durch die Inauguration Kennedys zum 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Das junge, schöne Paar war für Amerika „der stumme Augenblick des Beginnens“. Mitten im Kalten Krieg schien der Krieg gewonnen. Kein anderes Paar des 20. Jahrhunderts brachte den Glauben an das Glück der Demokratie besser zum Ausdruck als Jackie und John F. Kennedy. Sie inspirierten die eingefahrene Nachkriegswelt mit einem Stil aus Vitalität, Härte und Eleganz. Die Times schrieb über Jackie: „Ihre politische Rolle ist vorwiegend visuell“, und Koestenbaum ergänzt: „Ihre visuelle Rolle ist vorwiegend politisch.“ Jackies Bereich war und blieb das Symbolische; aktive Politik fand sie vulgär. Darin zeigt sich ihre grundsätzliche Überlegenheit einer Hillary Clinton gegenüber, die die Welt der Politik mit einer Anwaltskanzlei verwechselt.

Beim Staatsbesuch in Frankreich stellte sie ihre Abstammung unter Beweis. Charles de Gaulle und André Malraux zeigten sich entzückt von ihr, die Pariser bejubelten „Belle Jackie“. Sie machte sich daran, ihre historische Kulisse, das Weiße Haus, umzugestalten. Wie nicht anders zu erwarten, bevorzugte sie erlesene Antiquitäten und Seidentapeten. Das Ergebnis stellte sie im Fernsehen vor. Als First Lady schuf Jackie für die Nation aus Cowboys eine Fiktion: Sie glaubten, diese Frau habe ihr feines französisches Erbe in den Dienst der Nation gestellt. Sie gleicht nicht nur die Unbildung des Präsidenten, sondern auch dessen strotzende Gier auf schnellen, einfachen Sex aus. Jackie war das weibliche Gegenstück zu Jane Mansfield und Marilyn Monroe. Statt Busen zeigte sie im schulterfreien Abendkleid ihre Halsknochen. Jackies verfeinerte Erotik war das Korrektiv zum schnell fickenden Präsidenten. Sie machte sich zum Logo des modernen Amerika, „reduzierte das Fleischige, Klinkermäßige und betonte den reinen Umriß“. In ihr verschmolz die Nouvelle-vague-Frau eines Godard mit der Selfmadewoman aus Amerika.

Die Verwandlung des Paares in einen nationalen Mythos beginnt am 20.November 1963 in Dallas. John F. Kennedy wird im offenen Wagen erschossen, seine Frau klettert auf den Kofferraum und versucht, Teile seines Hirns und seiner Schädeldecke einzusammeln. Ihr Chanel-Kostüm ist von dem Blut des Präsidenten rot gefleckt. Sie zieht es nicht aus und trägt es tränenlos bei der Vereidigung Johnsons und bei der Ankunft der Leiche in Washington. Die ehemalige Bildreporterin war sich bewußt, welch ikonographische Kraft in dem Bild vom toten Mann und der trauernden Frau steckt: Sie war eine amerikanische Pietà. „Wenn die Ermordung von JFK so etwas wie eine nationale Kastration war, dann war Jackie der Punkt, auf den die Nation die Blicke lenken durfte, um vom Verlust Jacks wegschauen zu können.“

Das Zeitalter aus „poetry and power“, das Robert Frost beschworen hatte, war vorüber. Die Witwe wußte, daß sie nicht allein, sondern allein mit der Nation zurückgeblieben war.

Jackie nahm ihre Aufgabe an, sie lehrte die amerikanische Nation, mit Würde zu trauern. Sie machte den Präsidenten zum Helden. Auf ihre Anweisung hin fand er sein Grab in Arlington inmitten von Soldaten, ein reiterloses Pferd folgte dem Sarg, und der dreijährige John-John salutierte vor dem Leichnam seines Vaters. Daneben stand aufrecht die schöne Witwe, ihr Gesicht hinter einem schwarzen Schleier vor den Blicken geschützt, vergoß sie keine Träne. Durch die Inszenierung war das Paar zum Mythos geworden, Jack und Jackie waren auf immer im kollektiven Gedächtnis der Nation vereint.

Sie verließ Washington und lebte zurückgezogen im europäischen New York. Fünf Jahre später war sie erneut in den Schlagzeilen als Braut des Reeders Aristoteles Onassis. Den kleinen, gebildeten, reichen Griechen und die hochgewachsene Witwe schien eine geheime Leidenschaft zu verbinden, die nichts mit sauberem amerikanischem Sex zu tun hatte. Jackie wurde verstoßen in die Welt des Trash. Man las über ihren Geiz, ihre Gier und ihre Einkaufswut. Sie gehörte zur Welt der Regenbogenpresse, und jeder durfte sie betatschen.

Doch sie nahm keinen Schaden; ihr Bild blieb rein. 1975 wurde sie wieder Witwe. Dieses Mal brachte ihr der Tod des Mannes keine nationalen Weihen, doch viel Geld ein. Sie kehrte zurück ins Büro und arbeitete als Lektorin. 1994 ist sie gestorben. Sie ließ sich in Arlington bei den Helden beerdigen. Jackie hat als Bild Karriere gemacht. Was Koestenbaum so sehr an ihr fasziniert, ist ihre ganz spezifische Mischung aus Aristokratie und Trash. Sie hatte Klasse, ihr Stil war aristokratisch. Doch in ihrer maßlosen Einkaufswut hat sie alles zu Trash gemacht. Sie versöhnte den aristokratischen Stil Europas mit dem Glück des Massenkonsums aus Amerika. Koestenbaum weiß um Jackies geheime Verwandtschaft mit den Middle-class-Ladies aus der Vorstadt. Hinter Jackies Glamour lauerte eine „traurige, staubige Andersheit“, sie ist für Koestenbaum eine Inkarnation der Frauen seiner Kindheit, mit Polyester-Stretchhosen, Bingo- Abenden und Toast mit Bohnen. Er liebt sie beide: die Aristokratin und die Trash-Lady. Sie sind Amerika. Alle sind Jackies.

Wayne Koestenbaum: „Jackie O. Der Fan und sein Star“. Aus dem Amerikanischen von Joachim Kalka. Klett-Cotta, 300 S., 38DM