Vom Überleben in mörderischen Zeiten

■ Die Kunst des Weglassens und der Distanz: „Hypnose“ von Hanna Krall

Der Titel verspricht Suggestives. Tatsächlich ist die Prosa Hanna Kralls in hohem Maße verfänglich: Sie zieht den Leser in den Bann vergangener oder gegenwärtiger Ereignisse, die – bei aller politischen und geschichtlichen Authentizität – immer auch literarisch sind: Sie stellen eine Welt dar.

Hanna Krall wurde 1937 in Warschau geboren, wo sie heute noch lebt. In Polen sorgte sie mit ihren Veröffentlichungen für Aufsehen. Trotz Publikationsverbotes in den achtziger Jahren, als die politische Situation zur Zeit des Kriegsrechts eskalierte, hat Hanna Krall weitergeschrieben und zahlreiche Preise erhalten. Ihre Texte leben nicht vom kosmischen Blick, der der „Welt irgendeine absurde Ordnung unterstellt“, oder von plaudernden Allgemeinplätzen, sondern vom Kuriosen. Sind die Gegebenheiten auch noch so grauenhaft, zeigen sie doch ihre komisch-groteske Seite und damit die tatsächlichen Abgründe.

So schleicht sich in „Schokolade für die Schuch-Allee“ ein junger polnischer Widerstandskämpfer in die Gestapo ein, indem er, streng nach der Hierarchie, den Kommissaren und Offizieren Schokolade aus der Fabrik heranschafft. In „Überlebenssyndrom“ teilt ein Briefmarkensammler im Warschauer Getto seine Leidenschaft mit einem SS-Hauptsturmführer. Und in „Eine Story für Hollywood“ will eine alte Dame, die Auschwitz überlebt hat und inzwischen nobel residiert, von einer Schriftstellerin ihre Lebensgeschichte als Hollywood-Drehbuch schreiben lassen, um sich mit dem Geld einer Schönheitsoperation unterziehen zu können.

Niemals geht es bei Hanna Krall um Helden oder um Feiglinge. Ihr Thema ist das Überleben in mörderischen Zeiten, das von sonderbaren Handlungen und Zufällen bestimmt wird. Ob die Geschichten von Vernichtung und Verfolgung in den faschistischen Lagern erzählen, ob sie in der stalinistischen Sowjetunion, im Polen der achtziger Jahre, während der Nacht der deutschen Vereinigung, ob in Kanada oder der Bronx geschehen sind – immer bringen Anekdoten das Existentielle hervor. Geschickt verknüpft Hanna Krall Zeiten und Erinnerungen, um sie mit erschreckenden Konturen neu entstehen zu lassen.

Die zwölf Texte, zwischen 1978 und 1996 entstanden, sind nur bedingt „Erzählungen“, schon gar nicht „Belletristik“. Im Balanceakt zwischen Dokumentarisch-Journalistischem und Literarischem gelingt Hanna Krall eine genaue, eindrucksvolle Prosa. Scheinbar kunstlos geschrieben, ohne jegliches Kommentieren oder Moralisieren, schafft sie wirkliche Geschichtsbilder. So wird der Leser über den Lauf der Zeiten des Jahrhunderts in „Hypnose“ mehr erfahren als in allen Faktenkladden und Tatsachenfolianten.

Hanna Krall gelingt es, mit distanzierter, unaufdringlicher Sprache aus Lebensläufen die Momente herauszufiltern, an denen sie zum Schicksal werden. Ihre Kunst besteht im Weglassen von Erklärungen und im genauen Blick. „Je größer die Verzweiflung, um so weniger Sätze braucht es“, sagt sie und hält sich daran. Was für eine rare literarische Weisheit. Kerstin Hensel

Hanna Krall: „Hypnose“. Aus dem Polnischen von Roswitha Matwin-Buschmann. Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1997, 200 Seiten, 38DM