Jelzin schafft's doch noch nach Kiew

Im siebten Anlauf unterzeichnen die Präsidenten Rußlands und der Ukraine einen Freundschaftsvertrag. Die jahrelange Fehde um die Schwarzmeerflotte wurde noch rechtzeitig beigelegt  ■ Von Barbara Oertel

Sechsmal war die Reise des russischen Präsidenten Boris Jelzin in die Ukraine verschoben worden. Gestern wurde nun doch noch der rote Teppich ausgerollt: Boris Jelzin traf zu seiner ersten zweitägigen Staatsvisite in der Hauptstadt Kiew ein. Dort wollen er und der ukrainische Staatschef Leonid Kutschmar einen Freundschaftsvertrag unterzeichnen.

Die notwendige Vorarbeit für das Dokument, mit dem Rußland erstmals die Grenzen der Ukraine seit deren Unabhängigkeit im Jahre 1991 offiziell anerkennt, hatten der russische Premierminister Wiktor Tschernomyrdin und sein ukrainischer Counterpart Pawel Lasarenko geleistet. Am Mittwoch unterzeichneten die beiden Regierungchefs in Kiew drei Abkommen über die Aufteilung und Stationierung der Schwarzmeerflotte. Darin wird die Stationierung der russischen Flotte auf der Halbinsel Krim auf zunächst auf 20 Jahre begrenzt. Bei beiderseitigem Einverständnis kann die Stationierung um jeweils fünf Jahre verlängert werden. Die Truppenobergrenze der russischen Flotte beträgt 25.000 Mann.

Die Ukraine erhält eine einmalige Kompensation von 526,5 Millionen Dollar für Schiffe, die durch die Teilung der Schwarzmeerflotte an Rußland übergegangen sind. Weitere 200 Millionen Dollar werden gegen ukrainische Energie- Schulden bei Rußland verrechnet. Die jährliche Pacht für die Stationierung wurde auf knapp 100 Millionen Dollar festgesetzt.

Von vier Buchten im Schwarzmeerhafen Sewastopol bleibt der ukrainischen Marine nur die Bucht Strelezkaja zur Stationierung ihrer Schiffe. Im Flottenabkommen verpflichtet sich Rußland, keine Atomwaffen in der Ukraine zu stationieren.

Noch Anfang dieser Woche hatten sich Beobachter weder in Moskau noch in Kiew festlegen wollen, ob Jelzin diesmal wirklich kommen würde. „Ich denke, daß Rußland immer noch das strategische Ziel verfolgt, die Ukraine wieder in seine Einflußsphäre zurückzuholen“, sagte der ukrainische Justizminister Sergej Holovati und drückte damit aus, was viele Zweifler in Kiew dachten. Und auch Premier Tschernomyrdin konnte es sich nicht verkneifen, die Ukraine vor seiner Abreise noch einmal zurechtzuweisen. Die russische Sprache würde diskriminiert und ebenso wie die russische Kultur immer weiter aus dem kulturellen Leben der Ukraine verdrängt, sagte er.

Trotz dieser Kritik besteht in Rußland kein Zweifel darüber, wie wichtig der Vertragsabschluß ist. Deutlich macht dies eine Äußerung von Andrej Piontkowsky, Direktor des Moskauer Zentrums für strategische Studien: „Je mehr Rußland eine imperialistische Politik gegenüber der Ukraine verfolgt, desto mehr wird die Ukraine zu einem Zentrum des Widerstandes werden. Dieser Vertrag ist unsere letzte Möglichkeit, die Ukraine davon abzuhalten, sich dem Westen zuzuwenden“, sagte Piontkowsky. So ganz dürfte diese Rechnung nicht aufgehen. Denn trotz Vertrag wurde am Donnerstag eine Charta über die Partnerschaft zwischen der Nato und der Ukraine paraphiert. Wichtigster Punkt: Die Ukraine behält sich das Recht der freien Bündniswahl vor.