Immer noch 4.300 ohne Lehrstelle

■ Der Direktor des Hamburger Arbeitsamtes plädiert deshalb für eine Deregulierung der betrieblichen Ausbildung

Denkt er an die 70er Jahre, dann kommt der Chef des Hamburger Arbeitsamtes, Olaf Koglin, schon mal ins Schwärmen. Bis zu 12.000 Lehrstellen blieben damals in Hamburg zu Beginn eines Ausbildungsjahres unbesetzt. Inzwischen hat sich die Situation drastisch verändert. Auf einen Ausbildungsplatz kommen zur Zeit rund drei Bewerber. Mehr als 4.300 Jugendliche suchten Ende Mai in Hamburg noch eine Lehrstelle, ganze 1.560 Ausbildungsplätze stellte die Wirtschaft ihnen zur Verfügung, 20 Prozent weniger als vor einem Jahr.

„Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage war noch nie so groß“, sagte Koglin gestern. An steigenden Schulabgängerzahlen liege es nicht. Rund 16.000 SchülerInnen beenden dieses Jahr in Hamburg die Schule. Etwa 12.000 von ihnen, so vermutet Koglin, möchten eine Lehre machen. Diese Zahl ist seit Anfang der 90er Jahre konstant. Wesentlich unbeständiger hingegen sind die Hamburger Betriebe. Seit Mitte der 80er Jahre nimmt ihre Bereitschaft, Jugendliche auszubilden, kontinuierlich ab.

Schuld daran, meint Thomas Schierbecker von der Handelskammer, seien nicht zuletzt die veränderten Rahmenbedingungen: Aus früher acht Berufsschulstunden sind inzwischen zwölf pro Woche geworden.

Darüberhinaus sei die Ausbildungsvergütung in den letzten Jahren überproportional gestiegen.Dabei hätten Untersuchungen ergeben, so Schierbecker weiter, daß ein Lehrling nur ein Drittel der Kosten „wieder reinfährt“, die seine Ausbildung verursacht. Ob sich ein Betrieb einen Azubi leiste, sei daher inzwischen „ein Abwägen zwischen Kosten und Nutzen“.

Ausbildung sollte wieder stärker im Eigeninteresse von Betrieben liegen, meint daher Arbeitsamtschef Koglin. Dazu müßten die Ausbildungsbedingungen aber „kräftig dereguliert“und flexibler an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepaßt werden. Sonst drohe eine völlige Verschulung des Ausbildungssystems – wie in Ostdeutschland machten dann immer mehr Jugendliche eine außerbetriebliche, schulische Ausbildung. Das wäre der Bankrott des dualen Systems.

Daß die Gewerkschaften bei so viel Betriebsfreundlichkeit aufschreien werden, ist Koglin klar. Ungerührt wies er die Gewerkschafter auf einen Widerspruch hin: Einerseits postuliere so mancher die Unverzichtbarkeit bestimmter Lohnanteile für Azubis. Andererseits akzeptiere der gleiche Verein klaglos „den vollkommenen Lohnverzicht“jener Jugendlichen, die zum Beispiel eine Erzieherschule besuchten und vom Bafög lebten.

Karin Flothmann