Derwisch auf Flugzeugträger

■ Nadine Ganases Choreographie „Crossing the Border“

Ein Tisch, ein Boden, eine Leinwand. Drei simple Orte, die zu komplexen Zeichenstätten werden: An den Tisch setzt sich ein Dichter, über den Boden bewegen sich drei Tänzer, auf der Leinwand flirren Bilder und Texte. Ihre Korrespondenz schreibt einen „Brief an niemand: über Grenzüberschreitungen/ über Zeit und Vergänglichkeit/ Würdest du meine Schuhe tragen?“

Crossing the border lautet der formal und inhaltlich programmatische Titel der jüngsten Performance von Nadine Ganase. Die belgische Choreographin, die sieben Jahre bei den legendären Rosas tanzte, bevor sie 1990 ihre eigene Compagnie gründete, setzt drei TänzerInnen in Beziehung zu Gedichten und Fotografien des amerikanischen Beat Poets Ira Cohen. Der 62jährige, dessen weißer Vollbart den lieben Gott, sein verschmitztes Lächeln aber eher Buddha heraufbeschwört, sitzt am Rand der Bühne und liest seine Texte wie der Fernsehonkel in eine Kamera. „Dies ist meine Geschichte, N. Y. C., 1997“, beginnt er und nimmt, wie es sich für einen anständigen Beatnik gehört, die Anwesenden mit auf eine spirituelle Reise von Amerika über Indien und Marokko zurück nach New York.

Doch Crossing the border ist keine bewegt bebilderte sentimentale Erinnerungstour, sondern – zumindest 45 von 75 Minuten Aufführungsdauer – ein grandioses Zusammenspiel von Wort, Bild, Bewegung und Ton. Zum Mikrophonschlag eines Herzens beginnt Cohen zu lesen; zum Beat seiner Worte beginnt eine Frau zu tanzen. Es ist ein Tanz fließender Bewegungen, deren Eleganz nicht die gebündelte Energie dahinter verdeckt. Diese Dialektik von Kraft und Leichtigkeit, Fluß und abrupten Brüchen bestimmt die Choreographie durchgehend. Anfangs nur angedeutet, werden die physischen Anleihen bei östlichen Kampfkünsten immer deutlicher, während sich gleichzeitig die Musik (Phillipe Franck) von jazzy zu gonglastig zu industrial sounds entwickelt.

Was Nadine Ganases Arbeit groß macht, ist, daß sie sich weder dem Osten noch unserer Vorstellung davon anbiedert. Östliche Tanzformen scheinen im positivsten Sinne des Wortes studiert; nicht, was die Tänzer kopieren, sondern was sie gebrauchen können, hat die Gruppe interessiert. Statt Glieder in Trance zu simulieren, spielen Körper mit wachen Köpfen mit einem anderen Bewegungsvokabular.

Das allerdings scheint erschöpft, bevor die Performance zu Ende ist. „Ein Leben / eine Chance“, schreibt Ira Cohen, doch meint es gar nicht so fatalistisch: „Nächstes Mal beginnen wir mit Kopfstand.“

Christiane Kühl

bis Sa, 21.30 Uhr, Kampnagel k2