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Hallo Gott, hier spricht Radio Energy

■ Nische – Fabrik – Labor: Institute in Berlin, Teil 4. Das Institut für Populärkulturforschung läßt seine Probanden Programmstrecken zur Musik malen

Der Chef ist unterwegs, Computerpapier kaufen. Wir können ja schon mal losreden. Und landen unweigerlich beim Thema Uni. „Die simple Frage, was beschäftigt die Leute, warum gucken die sich so einen Blödsinn wie Schreinemakers an: Das wurde bei uns an der FU – am Institut für empirische Medienforschung – nicht ergründet. Man versuchte es nicht mal.“

Am eigenen „Institut für Populärkulturforschung“ versuchen sie es jetzt: Eva Schabedoth, Uta Isfording, und Michael Altrogge kommt gleich. Der ist noch immer auf der Suche nach Computerpapier. Am Anfang stand – noch mit einem halben Fuß in der Uni – eine Analyse von Heavy-Metal-Videoclips für die Landesmedienanstalt: „Die geheimen Verführer der Jugend?“ Sowie ein DFG-Projekt mit dem Titel „Videoclips als Indikatoren für den Wandel jugendlicher Lebens- und Wahrnehmungswelten“. In beiden zusammen steht fast alles drin, was ein denkender Mensch zu dem Thema mit Hilfe „objektivierender“ Methoden herausbekommen kann.

Zum Beispiel steht da, daß Videoclips keinen „handlungsleitenden“ Einfluß auf die 517 befragten Jugendlichen hätten. Daß bei den „Rezipienten“ Gewalt- und Vergewaltigungsszenen eher schlecht ankommen. Und daß von einer „unvermittelten Medienwirkung“ innerhalb der „normalen Sozialisationsprozesse“ nicht ausgegangen werden könne. Deswegen findet Michael Altrogge die medienwissenschaftlichen Epigonen von Baudrillard auch auf mindestens einem Auge blind. Altrogge nämlich hat das Computerpapier nun doch noch bekommen (genauer gesagt: „Multifunktionspapier“).

„Dann schon lieber Derrida“, sagt er. „Wenn es eine Theorie gibt, mit der man neuere technische Prozesse, ob die nun Internet, CD-interaktiv, pseudointeraktiv oder Musikvideo heißen, denken kann, dann ist das das différence/ Differenz-Prinzip: das gleichzeitig Anwesende und Abwesende von verschiedenen Sachen – in den Raum geschachtelt. Das, was man auch ,colour espacement‘ nennt. Derrida macht das an Sprache fest. An Musikvideos kann man das viel besser nachweisen. Baudrillard mit seiner These, daß Realität nicht mehr stattfinde, brauchte doch nur einmal den Falsifikationstest machen. Macht er natürlich nicht.“

Was die Umfragen dieser Popkulturforscher von anderen Nölle- Neumanns unterscheidet, ist also ihr Mut zur Falsifikation. Strukturanalysen und Rezeptionsforschung ergänzen einander. Als zwei Seiten ein und derselben Medaille, sagen die Forscher: „Ohne Strukturanalysen kriegt man nichts raus. Wenn man sich den Kram nicht anguckt, kann man auch nicht auswerten, was für Leute sich mit ihm beschäftigen. Ich weiß ja gar nicht, wonach ich fragen soll.“ Das mit der Falsifikation ist auch außerhalb der Uni noch so. Nur die Frage nach der Gewalt ist passé. „Boa“, sagt Uta Isfording, „das ist lange her.“ Dann geht sie mit Eva Schabedoth raus auf den Balkon, eine rauchen.

Ihr „Institut für Populärkulturforschung“ gründeten sie 1993: „unser wissenschaftliches Standbein“. Gegenüber der alten „Andrew-Baracks“, gar nicht weit von der Uni entfernt. Mit einem wunderbaren Flügel, professionellem Tonstudio, einigen PCs und dem Drucker, der auf Papierfütterung wartet. Und, nicht zu vergessen: mit Paul-Gerhard Schank, der inzwischen auch eingetrudelt ist und von einem Buch zu populärer Computermusik erzählt.

Ende 95 kamen die „SAKS media solutions“ dazu, englisch auszusprechen. „Sex!“ Die Lust am Namen hört man auf Altrogges Anrufbeantworterstimme. Mit SAKS, der „Gesellschaft für Medien-, Werbe- und Marktforschung“, war das andere Standbein da, der Freiberuf. Irgendwo zwischen diesen beiden Beinen kommt es dann manchmal, sagt Altrogge, „zu den berühmten Synergieeffekten“. Derzeit machen sie Hörer-Analysen für den Rundfunk. Nicht die dröge Abteilung Reichweite, Nutzungshäufigkeit usw., sondern Fragen eben nach dem „colour espacement“, nach der bestimmten „Farbe“ von Hörfunksendern.

Gern machen die Empiriker Ausflüge in die soziologische Theorie und in die Sozialphilosophie. Deswegen fragt Altrogge jetzt: „Wie weit hat Mediennutzung in der Struktur was mit mythischem Denken zu tun? Bei Cassirer heißt es: ,Es gibt zwar für alles eine Ursache – ihr Grund aber wird im Göttlichen gesehen.‘ Lassen wir den Gott mal weg und nehmen das elektronische Medium, dann heißt das eben: Ich suche als Radiohörer etwas, das hat eine bestimmte Anmutungsqualität. Und das hole ich mir irgendwie.“

Aber auch Gott kann man sich mit Falsifikation nähern. Und so sitzen Altrogge, Schabedoth, Schank und weitere Mitarbeiter dann mit jugendlichen Radiohörern zusammen und nähern sich per „Gruppenexplorationen“ den Anmutungen von Sendern wie N-Joy-Radio, Radio Energy, Fritz: „Da geht es dann darum, daß die Leute miteinander diskutieren. Aber nicht nur. Sie sollen auch reflektieren, ihr Gespräch auch noch selbst darstellen. Also gehen wir in einem zweiten Schritt vom auditiven Phänomen zur Visualisierung über. Zum Beispiel, indem wir sie eine bestimmte vorgespielte Programmstrecke malen, in ein Plakat transponieren lassen. Und dann reden wir mal wieder über die visualisierte Form. Der Trick also ist, daß man die Probanden erst mal auf eine Bewußtseinsstufe bringen muß, auf der sie sich äußern können, ohne aber in Rationalisierungen eingesperrt zu werden.“ Fritz v. Klinggräff

Institut für Populärforschung, Finckensteinallee 84a (Tel. 8336036).

Teil 1 unserer Reihe behandelte das Berliner Goethe-Institut (erschienen am 29.5.), Teil 2 das Institut für Kreatives Schreiben (18.7.) und Teil 3 das Interdisziplinäre Forschungszentrum für Historische Anthropologie (22.8.).

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