: Inflationsbezwinger und Studentenfreund
Der Wirtschaftsexperte Zhu Rhongji zieht die Fäden der chinesischen Reformpolitik. Auf dem in einer Woche beginnenden 15. Parteitag der KP Chinas könnte er zum Premierminister und Nachfolger Li Pengs befördert werden ■ Aus Peking Georg Blume
Drei Dinge hat der Mann: Gratulationen, Geschenke und Gästebücher. Wer Zhu Rhongji den roten Teppich ausrollt, wird anschließend gefragt, woher das Geld für den Empfang kommt. Einmal besuchte der Geizhals eine Fabrik, deren Direktor einen goldenen Kugelschreiber in der Westentasche trug. Das teure Schreibgerät ließ sich der Gast schenken, um danach die Connection zwischen dem Fabrikdirektor und dem Kugelschreiberproduzenten zu recherchieren und beide der Korruption zu überführen. Fuchsschlau ist dieser Kommunist, unerträglich penetrant, ohne Gnade mitleidlos und messerscharf genau.
Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua charakteriserte den 68jährigen Vizepremier als „resolut, geradlinig und streng zu seinen Untergebenen“. Tausende Staatsbetriebe, die Zhu während seiner Zeit als Zentralbankchef bankrott gehen ließ, können das bestätigen. Der offizielle Lebenslauf fügt jedoch hinzu: „Selbst Leute, die von ihm scharf kritisiert wurden, bewundern seinen Mut.“
Das mag stimmen. Denn Zhu ist vor allem sauber. Nicht einmal seinen Kindern erlaubt er, von seiner Stellung zu profitieren, obwohl die „Prinzen“ der hohen Kader längst eine Klasse für sich bilden. Der hagere, langnasige Mann, dem seine Unbequemlichkeit ins Gesicht geschrieben steht, ist dieser Tage im Zentrum der chinesischen Politik.
Alles dreht sich um Zhu, weil er die klarsten Reformvorstellungen hegt: Entrümpelung der Staatsbetriebe, Gründung neuer Konzern- Holdings, breite Einführung privatwirtschaftlich organisierter Kapitalmärkte, Hartwährungspolitik und Aufbau einer landesweiten Rentenversicherung – das alles steht auf dem Programm des für westliche Analysten ersten wahrhaftigen Wirtschaftsexperten, der unter den Kommunisten in die chinesische Führungsspitze aufstieg.
Mit dem 15. Parteitag der KP, der am 12. September beginnt, schlägt wie alle fünf Jahre die große Stunde der Beförderungen und Entmachtungen. Alles schaut auf Zhu Rhongji. Als Mitglied im ständigen Ausschuß des Politbüros die bisherige Nummer fünf im Parteistaat soll er ein Treppchen höhersteigen. Wenn richtig ist, was die Parteispatzen von den Dächern pfeifen, dann rückt der Vizepremier sogar zum Regierungschef auf. Zhu würde damit Premier Li Peng beerben, der nach zehn Jahren im kommenden März aus dem Amt scheiden muß. „Zhu ist mit einer Rolle als Premier zufrieden. Das macht ihn für Jiang Zemin zum idealen Partner“, raunt ein hoher Kader über das Verhältnis zu Staats- und Parteichef Jiang Zemin, der den Parteitag zu einer Einmannshow stilisieren will.
Tatsächlich ist Zhu für die Mehrheit des 1,2-Milliarden-Volkes nahezu ein Unbekannter. Die Nummer fünf taucht im Fernsehen meist nur als Begleitung des Staatspräsidenten oder Premiers auf. Der Personenkult der Propaganda schließt den forschen Wirtschaftspolitiker nicht mit ein. Seinerseits tut Zhu nichts dafür, dem Bild des heldenhaften Parteiführers zu entsprechen: Bei seinen Reden spricht er stets ohne Manuskript die nackte Sprache der Zahlen. Genau darauf aber gründet sein Ruhm: Für westliche Politiker und Investoren, die China in den vergangenen Jahren bereisten, war Zhu der einzige Gesprächspartner, der Klartext redete. Helmut Schmidt und Henry Kissinger sahen in ihm den wichtigsten Vertrauensfaktor in der chinesischen Führung.
Doch Zhu kommt nicht nur im Westen an. Vor allem in Shanghai, wo er von 1987 bis 1991 Bürgermeister war, genießt er große Popularität. Die verdankt er nicht zuletzt den Ereignissen am 9. Juni 1989: Wenige Tage nach dem Massaker auf dem Pekinger Tiananmen-Platz demonstrierten in Shanghai mehrere zehntausend Menschen für die Opfer. Doch in der Hafenmetropole blieb die Armee in den Kasernen. Gegen die Gewalt entschieden sich damals Shanghais Parteichef Jiang Zemin und Bürgermeister Zhu Rhongji. Dabei sah man in Zhu die bestimmende Figur. Er hielt eine unvergessene Fernsehrede, in der er auf Rechthaberei verzichtete und um ein friedliches Ende der Proteste bat, das er prompt bekam.
Für den wie Mao in der Provinz Hunan geborenen Ingenieur hätte die Karriere damit enden können. Stundentenfreunde standen damals schlecht im Kurs. Auch verstand sich Zhu nicht gut mit Jiang Zemin, den der Patriach Deng Xiaoping noch 1989 zum neuen KP- Chef bestellte. Später aber sah Deng die Dinge anders. Mit seinen Reisen nach Shanghai und Shenzen im Jahr 1992 brachte der kleine Steuermann das Land wieder auf Reformkurs. Und er erkannte sofort, welche Aufbauleistungen Zhu in dem nach Jahren der Rezession zu neuem Leben erwachten Shanghai vollbracht hatte. Zhu „verstehe etwas von Wirtschaft“, erklärte Deng und machte ihn zu dem, was er heute ist.
In Peking wurde der Reformkünstler dringend gebraucht. Nach dem Boomjahr 1992 war die Inflation auf über zwanzig Prozent geklettert. Gleichzeitig drohte die Wirtschaft mit einem Wachstum von 13 Prozent zu überhitzen. 1988 hatte Li Peng eine ähnliche Situation mit einem rigorosen Kreditstopp bekämpft – und das Land in Rezession und Revolte geführt. Das sollte dem angelernten Ökonomen Zhu nicht passieren. Als er im Sommer 1993 den Zentralbankchef feuerte, dessen Amt vorübergehend übernahm und mit einem 16-Punkte-Plan das Steuer der Reformpolitik an sich riß, waren die Reaktionen zunächst skeptisch. Vier Jahre später sind sie enthusiastisch – ob bei der Weltbank oder im Politbüro.
Zhu schuf neue Aktienmärkte und damit eine Reformperspektive für Großunternehmen. So gelang es ihm, den auf die wirtschaftliche und mit dem dahinsiechenden Deng auch auf die politische Katastrophe zuschlitternden Parteistaat wieder führungsfähig zu machen. Erst die Ergebnisse seiner Politik – sechs Prozent Inflation und anhaltendes Wachstum von neun Prozent in diesem Jahr – haben den stabilen Übergang in die Post-Deng-Ära gesichert. „Zhu ist überragend. Er ist der Gestalter der gesamten Politik“, verrät ein hohes Parteimitglied.
Zhu verspricht viel. Er will die Reform der Staatsbetriebe innerhalb von drei Jahren durchsetzen. Tausend neue Großkonzerne sollen sich in Gruppen wie die erfolgreichen japanischen Unternehmenskonglomerate formieren. Die übrigen Staatsunternehmen dürfen dann auf eigene Faust um ihr Überleben kämpfen. „In fünf bis zehn Jahren könnte China damit über die größten Unternehmensgruppen der Welt verfügen“, sagen westliche Diplomaten in Peking.
Doch viele Prognosen der chinesischen Wirtschaftskraft sind leichtsinnig und täuschen über Probleme hinweg. Zhu hat einen Schuldenberg von über einer Billion Mark zu verwalten. Vergleichbare Schulden hatten Anfang der 90er Jahre in Japan die längste Rezession der Nachkriegszeit ausgelöst.
„Ich würde das, was wir machen, nie als Kapitalismus bezeichnen“, hatte Zhu einst als Bürgermeister von Shanghai gesagt. Mag sein, daß der Kommunist, um erfolgreich zu bleiben, doch noch seine Prinzipien ändern muß.
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