Zwischen den Rillen
: Gevatter Trouble

■ Satan wollte seine Seele nicht: Morrissey mit neuem Album

Das fünfte reguläre Soloalbum von Morrissey beginnt ganz genau so, wie eine Smiths- Platte beginnen könnte, hätte die Band sich nach „Strangeways here We Come“ von 1987 nicht aufgelöst: Rückkopplungs-Noise (okay, wir milchgesichtigen Wimps sind jetzt also Rocker geworden), BBC-Reporterstimme (... und wir sind eine Macht), ein abwartend polternder Rhythmus und dann die silbrigglänzende, biegsame Stimme Morrisseys: „I wanna start from before the beginning.“

Also nicht nur noch mal von vorne, sondern noch davor. „Ich war fünfzehn“, singt er, „und der Golf zwischen den Dingen, die ich brauche, und den Dingen, die ich bekomme, ist ein uralter Ozean.“

Vorbei an den „Lichtern in den Fenstern aller sicheren und stabilen Heime“ geht es im Text des Titelsongs „Maladjusted“ („verhaltensgestört“) zurück in die Pubertät Stephen Patrick Morrisseys und eines unbekannten working girls – und also tatsächlich in die Zeit zurück, als es die Smiths und ihre wirksame Definition von grimmigem Weltschmerz, angriffslustiger Eigensinnigkeit und perfekt selbstverliebtem Gitarrenpop- Songwriting noch nicht gab.

Leute, die die erste Smiths- LP mit fünfzehn oder sechzehn nach Hause trugen, sehen es vielleicht wie Morrissey selbst: daß etwas unabgeschlossen, unausgestanden ist und immer weitere Fragen produziert. Zum Beispiel die, wie er wurde, was er ist. „Alma Matters“ heißt das zweite Stück, schon freundlicher als der Opener, mit beinahe verspielter Akkord-Progression. Aber Alma Mater, die „nahrungsspendende Mutter“ (lateinischer Name für die Heimat-Universität des Studierenden), „matters“, bedeutet etwas, und zwar folgendes: „Meine Wahl mag dir komisch erscheinen, aber wer hat dich überhaupt gefragt? Es ist mein Leben, das ich ruiniere, my own way.“

Morrissey wälzt Song für Song die Gründe, warum es so gekommen ist, wie es gekommen ist, und zwar so energisch er kann. Heute wohnt er in Spanien, „hat kein Interesse an Weltpolitik“, zieht die Gegenwart von Tieren der von Menschen vor (wie es im wohl vom Künstler diktierten Platteninfo heißt) und hat sowieso überhaupt „kein Interesse an modernem Leben“. Das Interesse reicht allerdings noch lange so weit, daß er dem früheren Smiths-Schlagzeuger Mike Joyce ein unglaublich haßerfülltes Lied („Sorrow Will Come In The End“) widmet. Joyce hatte ihn, den Hauptsongwriter, im letzten Winter erfolgreich auf eine Million Pfund Nachzahlung von Tantiemen verklagt. Mit dramatischem Filmmusik- Kammerorchester und Peitschenhieben aus dem Computer preist Morrissey nun den Tag, „der dir Schmerzen bringt“ für den „legalisierten Diebstahl“ – „ich krieg' dich, und schließ besser nie deine Augen“. In England soll die Platte, anders als im Rest der Welt, ohne dieses Stück erscheinen, die Plattenfirma befürchtet eine erneute Klage. Das würde immerhin heißen, daß den englischen Käufern, soweit sie sich nicht den Import besorgen, die bittere Ironie entgeht, daß der auf das Haßstück folgende und gleichzeitig letzte Song der Platte „Satan Rejected My Soul“ heißt. Ein fröhlicher Gitarrenpop- Hüpfer.

Es geht darum, daß der Satan Morrisseys Seele nicht wollte, „er kennt meine Sorte... So tief er auch sinken mag, so tief sinkt er nicht.“

Porträt des Künstlers als Verhaltensgestörter Abb.: Cover

Vielleicht ist am Ende wirklich Smith-Schlagzeuger Joyce an allem schuld. Ohne ihn hätte sich Morrissey vielleicht endgültig auf irgendeine Finka zurückgezogen, die Ziegen gestreichelt und gedacht: Wenn ich noch wie früher wäre, würde ich jetzt den ewig grinsenden „Law and order is a Labour issue“-Premier Tony Blair dahin wünschen, wo ich schon Maggie Thatcher hinwünschte: auf die Guillotine. Aber Weltpolitik ist passé, England ist weit, also lieber Ziege streicheln.

So aber spürte er noch einmal alten Grimm, schrieb Zeilen wie „Sorrow Will Come In The End“ oder das ebenfalls kammermusikalische „Ambitious Outsiders“. Morrissey bleibt ein Außenseiter, Gevatter Trouble geht an seiner Seite, ganz milchig weißer Blues mit beatlesker Klavierbegleitung. Alles bitter, nicht mehr sweet und doch von einer anscheinend unversiegenden Kraft und Fülle in der Stimme und in der Wahl der Worte, vor der selbst der wasserdichte instrumentale Anteil verblaßt, eingespielt mit einem Team perfekt trainierter Adepten, die Smiths-Idiome und Artverwandtes genausso sicher beherrschen wie Lenny Kravitz seine Revivalismen.

Nur kaum verschlüsselt, gesteht Morrissey als „Papa Jack“ dann, daß er gerne die Uhr zurückdrehen würde, zurück in die Zeit, „when the kids reached up“, als die Kids nach ihm griffen und „Papa Jack just pushed them away“. Nun singt er langsam vor sich hin, zum „sterbenden Tag“ und der „kühlen Sonne“. Wie ein später Nachtrag zu David Bowies Frühsiebziger- Geschichte vom Aufstieg und Fall des fiktiven Popstars Ziggy Stardust, vom spanischen Exil aus geschrieben. Die Kraft, die diesen Papa Jack dann doch noch beseelt und die diese Platte anhörbar macht, ist die gleiche, die ihn ganz am Ende der Platte „La la la la la“ singen läßt. Jörg Heiser

Morrissey: „Maladjusted“ (Mercury)