■ Mexiko: Die Zapatisten demonstrieren in Mexiko-Stadt
: Libertäre Tradition

Eine „sehr schwierige Geburt“ sei es gewesen, so kommentierte eine mexikanische Reporterin den Besuch der 1.111 Maskierten aus Chiapas in Mexiko- Stadt. Über dreieinhalb Jahre waren die Aufständischen mit ihrem „Marsch auf die Haupstadt“ schwanger gegangen. Daß sie am Wochenende tatsächlich kamen, und zwar nicht wie 1994 angekündigt als siegreiches Befreiungsheer, sondern als „Beobachter“ bei der Gründung eines „zivilen Zapatismus“, ist in zweierlei Hinsicht ein bemerkenswerter politischer Erfolg.

Mit ihrer spektakulären Visite im Herzen der Republik sind die Zapatistas, die seit fast einem Jahr von der politischen Bildfläche verschwunden schienen, wieder in die Schlagzeilen und damit in den Blick der – auch in Mexiko gnadenlos vergeßlichen – Öffentlichkeit gerückt. Zum zweiten ist der Entwurf zu einer „Zapatistischen Front“, jenseits von etablierten Parteistrukturen, aber auch der eingefahrenen Rituale der organisierten Linken, zweifellos ein attraktives, weil zutiefst antiautoritäres Projekt. Das Anknüpfen an libertäre Traditionen der Selbstorganisation könnte im autoritätsfixierten Mexiko mittelfristig radikaldemokratische Perspektiven öffnen. Zu hoffen ist, daß diese politische Offensive nicht – wie alle bisherigen Versuche der Zapatistas, die vielzitierte Zivilgesellschaft auf Trab zu bringen – im Sande verläuft. Denn nach wie vor sind es, wie Subcomandante Marcos vor kurzem schrieb, „zwei Mexikos“, die hier aufeinandertreffen. Das vergleichsweise zivilisierte Mexiko des Zentrums, in dem – wie bei den Wahlen in Mexiko-Stadt – das Machtmonopol der Staatspartei mittlerweile sogar via Stimmzettel erschüttert werden kann. Und das überwiegend indigene Mexiko des Südens, wo der bewaffnete Kampf vielen noch immer nicht minder absurd erscheint als die formalen Rituale einer Demokratie, die ihren Weg vom Papier in die Wirklichkeit noch nicht gefunden hat.

Die vor 19 Monaten vereinbarten Reformgesetze zur sogenannten Indio-Frage, auf die das offizielle Mexiko die Zapatistas von jeher zu reduzieren versucht, stehen bislang nicht mal auf dem Papier. In diesem „anderen Mexiko“ aber leben die realexistierenden Zapatistas. So begreifen sie sich auch nicht als Teil der zivilen zapatistischen Front, sondern nur als sympathisierende Beobachter. „Für uns hier unten geht der Krieg weiter“, sagt Marcos. Und das ist keine Drohung, sondern eine Feststellung. Dennoch: Ein Kind ist geboren, einen Namen hat es auch schon. Ob es auch noch ein Gesicht bekommt, wird davon abhängen, ob es den zivilen Zapatistas in absehbarer Zeit gelingt, beide Mexikos miteinander zu versöhnen. Anne Huffschmid