Der Maier im Schafspelz

Einst wollte er das Proletariat befreien, jetzt ist er Bürgermeisters Liebling und wird vielleicht gar Senator: GAL- Fraktionschef Willfried Maier, porträtiert von  ■ Von Silke Mertins

ie Rebellion wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Und auch als der kleine Willfried schon laufen gelernt hatte, nahm er die Diktatur der elterlichen Fürsorge noch ohnmächtig hin. Bei einem Ausflug in Milspe bei Ennepetal zum Beispiel, als der wohlgenährte Zweijährige feststellen mußte, daß sich das Fell eines leibhaftigen Schafes um so vieles kuscheliger anfühlte als die wollenen Kleider, die er spazierenführen mußte. „Der ganze Strickanzug hat fürchterlich gekratzt“, weiß der heute 55jährige Grüne Willfried Maier zu berichten. Und zwar inklusive Strümpfe.

Ob er sich schon im zarten Kindesalter eher Strukturen als Details wie Namen merken konnte, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall neigte der Gymnasiast Willfried Maier dazu, sich aufs wesentliche zu konzentrieren. Einmal, als er für eine Lateinarbeit nicht gelernt hatte, schrieb er eifrig vom Banknachbarn ab. Auch dessen Namen.

Von der Schulbank bis zum GAL-Fraktionsvorsitz war ein weiter Weg. Und er führte mitten durch die revolutionären Umtriebe der 68er-Bewegung. Daß der ehemalige Funktionär des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) einmal einer werden würde, dem Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) „blind vertraut“, hätte er selbst wohl am wenigsten vermutet. Als Maier 1981 nach Hamburg kam, bewarb er sich gar nicht erst an der Uni. Statt dessen heuerte er als Dozent an einer Privatschule an. Denn am Berufsverbot wäre der promovierte Philosoph mit K-Gruppen-Vergangenheit ohnehin nicht vorbeigekommen. Dafür wird er bald womöglich einer ganzen Behörde vorstehen. Denn daß Maier Senator wird, falls es zu Rotgrün kommt, ist alles andere als abwegig.

„Ich reiße mich nicht drum, aber man müßte es mir auch nicht aufdrängen.“Das sagen Politiker zwar immer, aber Maier nimmt man es ab. Daß der uneitle Grüne lügen könnte, kommt einem nicht in den Sinn. Einen Machtanspruch durchzusetzen statt sich Anerkennung zu erarbeiten, empfindet Maier als „Pervertierung“. Er hält es lieber mit Hannah Arendt, für die „Politik nicht für irgendwelche Zwecke da ist, sondern dazu, Pluralität öffentlich ausagieren zu können“.

Auch seine ParteikollegInnen schätzen ihn als gradlinigen, klugen, wenn auch nicht immer linientreuen Fraktionschef. Der Willfried, fürchtet man, könnte zu viele Kompromisse mit der SPD machen. „Ich galt schon immer als Rechtsabweichler“, grinst Maier. Schon aus dem KBW ist er „halb gegangen, halb wurde ich rausgeschmissen“. Denn die Diktatur des Proletariats anzuzweifeln, weil sie Minderheiten nicht schützt, galt als schlimmes Vergehen.

Auch in den Anfangsjahren der Grünen hätte er wegen seiner frühreifen Realo-Position „nicht mal als Kassierer kandidieren können“. Und weil er schon die Diskussion um die Anerkennung des „staatlichen Gewaltmonopols“nicht mehr „erträglich“fand, ging er 1986 lieber selbst. Erst vier Jahre später trat er wieder in die GAL ein.

Manches war früher dennoch besser oder vielleicht auch nur anders. In den K-Gruppen zum Beispiel, da stimmten politischer Anspruch und die eigene Lebensführung noch überein. Da hockte man nicht auf seinem Geld und hielt flammende Reden im Namen der Gerechtigkeit. Da wurde alles gespendet und die Karriere aufgegeben. Auch Maier kehrte seinem Habilitationsstipendium den Rücken und versuchte auf einem „Jugendhof, mit politischer Bildung „die Arbeiterklasse revolutionär zu organisieren“. Dann wandte er sich betrieblicher Agitation zu und wurde Werkzeugmacher. Doch weit gedieh „die Entfaltung meiner Metallarbeitertätigkeit nicht“. Denn irgendwann erschloß sich Maier der „politische Sinn“zwischen „Schleifmaschine und Drehbank“nicht mehr. Heute teilt er seine Vier-Zimmer-Wohnung lieber mit ein paar tausend Büchern, sitzt gern mit einem guten Rotwein lesend am Schreibtisch oder geht an der Alster joggen.

Geblieben ist, daß „Dummheit mich richtig ärgert“, besonders „aufmüpfige Dummheit“. Seine ganze obere Gesichtshälfte droht zu einer einzigen empörten Stirnfalte zu werden, wenn er Einfältigkeit mitanhören muß. „Dabei bin ich manchmal sogar ungerecht, weil ja nicht jeder über Intelligenz verfügen kann.“