Wand und Boden: Des Pudels Kerl
■ Kunst in Berlin jetzt: Boden, Haake-Brandt, Flatz, Warhol
Dunkel ist es in der Galerie Schuster & Scheuermann um die Mittagszeit, außerdem rattern ständig schwere Züge über den S-Bahn-Bogen. Das triste Ambiente trägt viel zur Industrial-Atmosphäre bei, die die Arbeiten von Roland Boden umgibt. Der Dresdener Bildhauer bezeichnet seine Fotoarbeiten und Skulpturen als „Systeme höherer Vernunft“ und gibt damit durchaus didaktisch die Lesart vor.
Boden versteht sich als Versteppungsexperte: Immer mehr gleichen sich die Lebensverhältnisse dem Geldfluß an. Alle Welt wird nomadisch, wogegen sich die letzten Seßhaften wehren. Also sieht er in Zukunft Wohnblöcke, deren Fenster nur noch aus Sehschlitzen und Schießscharten bestehen, während auf der anderen Seite Migranten in multifunktionale Container gepfercht werden. Obwohl Boden diese Modelle kritisch entwirft, sind sie zu perfekt ausgearbeitet, um wirkliches Unbehagen zu erzeugen. Dafür sind sie zu utopisch.
Bis 11.10., Di.–Fr. 14–19,
Sa. 11–16 Uhr, Fasanenstraße/ S-Bahn-Bogen 552
Thorsten Haake-Brandt ist ein Mensch, der gerne auf Dingen kaut. Morgens nimmt er sich eine Glühbirne vor, mittags macht er Pause, und am Abend ist das Metallgewinde schon ziemlich abgenagt. Das gleiche geschieht mit Spielzeugautos oder Wasserkesseln, die nun auf Sockeln in der Dogenhaus-Galerie stehen. Der Lauf einer Pistole ist vom Lutschen blankgewetzt, einem Kruzifix fehlen die Hände. Mitleid braucht man dabei mit dem Hamburger Künstler nicht zu haben. Im Gegenteil, all diese Aktionen dienen ihm als Beweis dafür, daß sich ein Gegenstand durch eine noch so geringe, womöglich völlig unnütze Tätigkeit in ein artifizielles Objekt transformieren läßt. Jede Arbeit ist Wertschöpfung, der „Wasserkessel“ kostet nun 2.800 Mark: Kunst = Kapital.
Mit Beuys im Sinn produziert Haake-Brandt nonstop. Um auch Fotoabzüge verarbeiten zu können, hat er ein spezielles Kondom entwickelt, das beim Kauen vor hochgiftigen Chemikalien schützt. Jetzt sehen die Bilder von Los Angeles oder Martin Kippenbergers Metro- Net zur documenta gleichmäßig zart geknittert aus. Daneben hängen automatische Zeichnungen, die Haake-Brandt im Schlaf zusammengerührt hat, um selbst die „Restzeit“ zu nutzen. Besonders einprägsam kommt die Manie im Video „Ich schüttel die Nudeln im Tagesschnitt 8 Stunden...“ daher. Dort sieht man, wie er in Großaufnahme maschinell, temporeich und witzig eine blaue Packung Barilla-Nudeln durchrüttelt. Abnehmen möchte man Haake-Brandt die ungeheuer stumpfe Arbeit auf keinen Fall, aber vielleicht lädt ihn „Vera am Mittag“ ja mal zu Sat.1 ein.
„Von 9 bis 5“, bis 18.10., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–17 Uhr, Auguststraße 63
Flatz hat ein Problem. Außer einigen Füchsen in der Werbebranche interessiert sich kein Mensch für seine Kunst. Wenn er Luxusautos in Stuttgart ausstellen will, macht Mercedes- Benz aus dem Happening eine Verkaufsveranstaltung; seine tabulose Fotostory mit einem dänischen Pudel namens Hitler hängt im Keller der „Deutschland-Bilder“; und wenn er sich mit dem Motorrad zum Krüppel fährt, kommt Reklame für Nil- Zigaretten heraus.
Auch die Szene im Atrium des Kontorhaus sieht aus wie eine Schrottplatz-Deko fürs Freßlokal „Leopold's“ nebenan: ein Rollstuhl, zwei Harleys und ein amerikanischer Sportwagen, allesamt schwarz abgekokelt wie die Überreste aus „Mad Max“. Darüber schwebt sehr dramatisch ein Tarnnetz der Bundeswehr, und man versteht sofort, was Flatz mit seiner Installation meint – der Titel „Lost Generation“ ist also ziemlich überflüssig. Ansonsten kann man in den Räumen der Galerie Matthias Kampl noch eine Wand mit Zeitungsseiten anschauen, auf die der österreichische Performance-Spezi und Goldschmied immer wieder „dark angel“ geschrieben hat. Kanther, Tandler und ein paar Skinheads sind auch dabei. Kein Grund zur Aufregung.
Bis 20.10. Do.–Fr. 14–19,
Sa. 13–18 Uhr, Friedrichstraße
O tempera, o mores! Früher hatte die Galerie Nikolaus Sonne schöne Räume in einer Patrizierwohnung an der Kantstraße. Heute heißt der Kunsthandel Nikolaus Sonne Fine Arts, und man teilt sich den neuen Laden Unter den Linden 69 D mit einer Boutique, die Alessi-Geschirr, Postkarten und pastellfarbene Designer- Aschenbecher verkauft. Wer trotzdem die Galerie betritt, wird von einem parfümierten Geschäftsführer bewacht, wenn der nicht gerade am Handy mit auswärtigen Kunden Gespräche führt. Andererseits – wo in Berlin bekommt man schon Zeichnungen von Andy Warhol aus dem Jahr 1953 zu sehen? Und was sind schon ein paar häßliche Eierbecher gegen die unglaublichen Schuhe, die Warhol entworfen hat?
„I want to be as famous as the Queen of England“ steht als Titel über den 150 Arbeiten. Natürlich hat sich dieser Wunsch für Warhol erfüllt. Weil er aber – anders als die meisten anderen Künstler – überhaupt nicht nachtragend war, hat er die Königin, genauso wie Lenin, Willy Brandt oder Tony Schuhmacher, weiterhin mit Nachsicht und Bewunderung behandelt, wenn er sie porträtierte. Deshalb sind die ausgestellten Siebdrucke so mitreißend wie vielleicht Bilder von Velázquez, auch wenn sie den Kölner Dom, Kennedys Begräbnis oder den Reichstag zeigen. Wären nicht diese furchtbaren Räume... Später unterhalten sich zwei Süddeutsche im 100er-Bus über das Café Einstein. Sie rätseln, ob der Neubau Unter den Linden der Hauptsitz ist und das Restaurant an der Kurfürstenstraße bloß die schäbigere Dépendance. Das ist beruhigend – auch wir werden demnächst eine Seite mit „Kunst & Markt“ einführen, denn alles wird gut.
Bis 25.10., Mo.–Sa. 14–19 Uhr Harald Fricke
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