: Planet Hasch ist überall
Den prototypischen Kiffer gibt es nicht mehr. Auf der Hanfparade zeigte sich die „Szene“ in vielen bunten Facetten statt identitätsbildend ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Hanfparade, August 1997. So sehen also moderne Kiffer aus, ein recht gemischtes Volk: abenteuerlich aussehende Altfreaks, junge Raver aus den alternativen Bereichen der Technoszene, vor allem Normale. Kiffen scheint nicht unbedingt mehr identitätsbildend zu sein. Ein ehemaliger Kommilitone, der jahrelang über dem romantischen Philosophen Friedrich Schelling fast verzweifelte, ist auch dabei. Mit hübschen Marihuanablättern im Haar wirkt er viel entspannter als während des Studiums.
Schwer bekifft scheinen eigentlich nur die Alten, die mit rollenden Augen und riesigen Rauchgeräten für die dankbaren Fotografen posieren. Der größere Teil wirkt eher nüchtern.
Die Hanfparade war sozusagen die hippieeskere und politischere Version der Love Parade, bewirkte allerdings auch so einige Déjà-vu- Erlebnisse: Man macht die Augen zu, zählt bis zehn, macht sie wieder auf und fühlt sich plötzlich wie auf irgendeinem Hippie-Open-air der späten 70er. Sehen alle genauso aus, selbst indische Klamotten sind wieder angesagt.
Auch die Lebensstile scheinen einander zu gleichen. Man fährt in bunten Bussen im Sommer von einer Goa-Party zur nächsten, nimmt gern Tramper mit, kifft in der Eisenbahn, nimmt an harten Drogen eher Acid und kuschelt sich abends am Lagerfeuer aneinander, als wäre es ein Kindergeburtstag. Generationsverbindende Altfreaks sind auch dabei und stehen oft bei den „Psychedelischen Ambulanzen“, die sich selbstorganisisiert um die Drogenopfer kümmern. Nur die Musik wirkt energischer, offensiver, wobei mittlerweile viele Trancesachen leider auch wieder dem esoterisch Erhabenen früherer Elektronikmusiker (Tangerine Dream, Klaus Schulze) hinterherjagen.
Hasch ist zur Volksdroge geworden. Deshalb ist es eigentlich sinnlos, „Kiffer“ zu beschreiben. Geht eigentlich nicht mehr, wenn Polizisten, Hausbesetzer, Punker vor dem Kaufhaus, Richter, Antifas und Neonazis, Chefredakteure, Prolos und Gymnasiasten Hasch konsumieren.
Andererseits gibt es natürlich solche und solche. Gelegenheitskiffer wie meine Tante, Prolos, die von erfahrenen Ravern belächelt werden, weil sie nach einigen Stunden sportiven Kampfkiffens schon erledigt sind, Schwerkranke, die kiffen, um Appetit zu kriegen, Alternativapostel, die politisch korrekt alle anderen Drogen verdammen, Freunde des Exzesses, die nur auf Speed haschen, vegetarische Gesundheitskiffer und Raver aus der Goa-Szene, die sich irgendwie ein subkulturelles Gedächtnis bewahrt haben und das alternative Image des Haschrauchs gewissenhaft pflegen.
Eine Demonstration für die Legalisierung von Hasch sei überflüssig, meinen viele West-Linke. Die Unwissenheit ist komischerweise allerdings immer noch groß, grad im Osten. Neulich gab es beispielsweise im Neuen Deutschland eine erschütternde Reportage über junge Kiffer, denen es gelang, wieder „clean“ zu werden: „Zuletzt hat jeder der beiden vier Gramm gebraucht, täglich. Um den Spiegel zu halten“, oder „Den letzten Joint hatte er vor drei Wochen, jetzt ist er auf cool Turkey, auf medikamentenlosem Entzug“, und „Seit er nicht mehr kifft, ist er dagegen, daß Cannabis legalisiert wird. Inzwischen weiß er, daß Alkohol ein Suchtpotential von 5 zu 100, aber Hasch eins von 25 zu 100 hat.“ Nun denn, diese Ostler.
Gunnar, ein 34jähriger Freund aus Göttingen, der über die Alternativbewegung irgendwann zur Technoszene fand, meint, es gebe keine wesentlichen Unterschiede zwischen 1978 und 1997. Nur hätten die jungen Neohippies keine gesellschaftlichen Utopien mehr. Kein neuer Gedanke sicherlich. Vielleicht kann man's auch Realismus nennen. Man steht in seiner Umgebung für bestimmte Werte ein, hält es aber für sinnlos, sie politisch verbindlich zu formulieren, und hat auch wenig Lust, den pädagogischen Ermahnungen der gutbezahlten Älteren, nun doch bitte und am besten krawallös gegen Arbeitslosigkeit zu demonstrieren, nachzukommen.
Übersehen wird in der Drogendiskussion oft, wie viele Altkiffer es gibt. Norbert, 41, zum Beispiel, den es aus linksradikalen Zusammenhängen der 70er hergeweht hat. Früher war er Alkoholiker; jetzt kifft er. Deshalb kriegte er neulich ein blödes Gedicht zum Geburtstag geschenkt: „Froh gestimmt kommt Norbert an/ Immer lustig dieser Mann/ wenn er dann quasselt, bis es ,brummt‘/meint mancher: Hasch ist ungesund!/ Rote Hilfe, Haschisch rauchen/ jeden Tag ein „Piece“ verbrauchen/ das ist Norbert wie er lebt/ und nach höh'ren Dingen strebt.“
Oder Jörg (siehe auch nebenstehenden Kasten): Früher schrieb er seine Entschuldigungen fürs Fernbleiben vom Schulunterricht stolz auf Umweltschutzpapier mit Marihuanablättchenaufdruck und der Forderung „Legalize it“, inzwischen kifft er – wie die meisten seiner Altersgenossen – nur noch an Festtagen.
Sein Dealer hat feste Geschäftszeiten, kommt aus der Hamburger Besetzerszene und verkauft ausschließlich Haschisch und Marihuana. „Der ist ziemlich ordentlich. Der sammelt auch Überraschungseier. – Vom Feinsten. – Wenn man bei ihm einkauft, raucht man aus Höflichkeit immer mit und unterhält sich über Kochrezepte und Fußball. Der war ja im Heim großgeworden. Der hatte in so einer Heimkindermannschaft Außenverteidiger gespielt. Letztesmal erzählte er stundenlang, wie er gegen irgendeine Mannschaft aus Henstedt-Ulzburg ein Tor geschossen hatte.“ So sind sie. Die finsteren Drogendealer.
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