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Big points – 3:1

■ Werder gewinnt gegen die satten Lauterer Jochen Grabler live vom Betzenberg

Da sitzt Wolfgang Sidka. Blaß, abgespannt, die Hände kaum im Zaum, auch noch nach dem Abpfiff des Spiels. Da sittzt Otto Rehhagel, braungebrannt und gut gelaunt doziert er die immer gleichen Fußballweisheiten und weiß auf jede Frage eine unpassende Antwort.

Preisfrage: Wie hat Werder bei Kaiserslautern gespielt?

„Big points“sollten die Bremer Kicker holen, hatte Sidka als Parole ausgegeben. Ganz wie die Lauterer am ersten Spieltag, als die Otto-Combo die Bayern in München ablederte. Seitdem hatte das Selbstbewußtsein aus allen Pfälzer Knopflöchern gedampft. Bremer Sehnsüchte. Mal wieder eine Siegesserie. Aber von wegen „big points“. Die Bremer spielten fast eine Halbzeit lang, als hätten sie Blei getankt: Immer einen Schritt zu weit weg vom Gegner, bei Kopfbällen schwer gravitationsgebeutelt, mit ärgsten Probleme, das Spielgerät erst zum eigenen Mann und dann in die gegnerische Hälfte zu bringen. Dabei hatte die hochgelobte Lauterer Kreativ-Abteilung ihrerseits eine mentale Auszeit genommen. Verfolger Bayern hatte daheim gegen Schalke nur 1:1 gespielt, der erste Platz für den FCK war eh gesichert. Sattheitsgefühle bei strahlendem Südwest-Wetter.

Immerhin, gegen die schwächelnden Werderaner reichte es vorerst noch. Nach sechs Minuten stand es standesgemäß 1:0. Da hatte Ratinho, Kopf und Herz des Lauterer Spiels, begünstigt durch die freundlich geöffnete linke Bremer Defensivseite, in den grün-weißen Strafraum gepaßt, wo sofort heilloses Chaos ausbrach, aus dem heraus Marschall einlochte.

Aber das wars auch schon mit den Lauterer Angriffsbemühungen. Zumal Ratinho in der Mitte der ersten Halbzeit mit seinem gegen Wickys Schädel rumste und mit einer Platzwunde unter dem Auge ausscheiden mußte. Die Lauterer ohne den Brasilianer – kopflos. „So schlecht haben die in dieser Saison noch nie gespielt“, maulten die Kenner.

Schon nach einer halben Stunde rochen auch die Fans auf der Westtribüne den Braten: „Kämpfen, Lautern, kämpfen“skandierten sie. Nutzlos. Im Völlegefühl des sicheren Spitzenplatzes und der sicheren Führung lullerten die Lauterer vor sich hin, und Werder erinnerte sich wieder an die „big points“. Und plötzlich kamen die Spieler aus der Kabine, als hätten sie die Trikots getauscht. Bruno Labbadia rackerte, riß Lücken in die immer unsicherer werdende Pfälzer Deckung, verteilte Bälle wie zu den Zeiten, als er selbst noch auf dem Betzenberg zu Hause war. Labbadia war das Fleisch gewordene Signal zum Angriff. Mit Erfolg. Der Mittelstürmer stand nach 65 Minuten genau da, wo der Lauterer Keeper Reinke einen Schuß von Frings abklatschte. 1:1, auch kein entscheidendes Wecksignal für die Pfälzer. Mal köpfelte Marschall nur an den Außenpfosten, mal stolperte Wagner freistehend den Ball an Recks Kiste vorbei.

So hatten sich alle schon auf ein Unentschieden eingestellt – zumal mit Herzog in der 75. Minute das Bremer Hirn gegen den Klumpfuß ausgetauscht wurde. Flo kam, um, wie Sidka sagte, vor allem Lauterer Kopfball-Chancen zu vereiteln. Und was macht der Mann statt dessen knapp zehn Minuten vor Ultimo? Flo, der Kopfballkerzenkönig, der Verstolperer, der Fehleinkauf, der noch in keinem Pflichtspiel das Tor getroffen hat? Er nimmt eine Ramsy-Hereingabe direkt und wunderschön und pfeffert die Pille ins Netz. Reaktion der Bremer Fans? „Das glaubt uns zu Hause niemand!“Noch ungläubigeres Staunen, als dann der frisch eingewechselte Frey einen Konter nach einer haargenauen Flanke von Brand mit einem Flugköpper reintat.

3:1 siegte der Underog beim bis dato ungeschlagenen Favoriten – Wolfgang Sidka konnte es auch eine halbe Stunde später kaum fassen, so angespannt saß er vor den wartenden Journalisten. Ganz im Gegensatz zu dem aufgeräumten Otto Rehhagel, der selbstredend mal wieder recht behalten hatte: Klar, das habe ja so kommen müssen, daß die Mannschaft auch mal verliert.

Ach was, Bilder lügen.

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