■ Vorschlag: Getanzte Sprachbilder: Yoko Tawadas „Wie der Wind im Ei“
Eine schreibende Frau, ein wildes Kind, ein eifersüchtiger Dichter und die mißtrauische Schwägerin: Das sind die Personen in Yoko Tawadas Drama „Wie der Wind im Ei“. Aber da die japanische Autorin in einer zum Publikum geöffneten Souffleursmuschel sitzt und alle Rollen selber liest, erweisen sich Sprachfluß, Stummheit und Kritik letztlich nur als Facetten ihrer Textproduktion. Tawada, die in Hamburg lebt, schreibt in deutscher und japanischer Sprache. Nächstes Jahr beginnt sie als Poetik-Dozentin in Tübingen.
„Wind Windel Wand Wandel Wunde Wunder / Der Wind bringt ein Wunder / Ein Mädchen steht vor der Tür / windelweich und wunderbar“, stabreimt ihre Stimme mit Echo vom Band. Tawadas Rätselbilder erweisen sich weniger als magisch denn als durchsichtige Hinweise auf einen Zusammenhang von weiblicher Sexualität, Fruchtbarkeit und der Produktivität des Schreibens. Eierfrüchte, Flaschen, Blätter, Schrift und Blut: oh, heilige Gefäße des Gebärens von Sprache und Welt. Doch den um ihrer Entschlüsselung willen erfundenen Symbolen fehlt sinnliche Verführungskraft und jegliche Widerspenstigkeit gegen mythische Klischees des Weiblichen.
Tawadas Lesung umrahmen drei Tänzerinnen der Berliner Compagnie Rubato. Sie entwickeln eine lustige Pantomime zum Lied „Ein Hund lief in die Küche und stahl dem Koch ein Ei“, scharren wie in einem fehlgeleiteten Nestbauinstinkt im Bühnenboden, kurz bevor Tawada vom „Kokon“ redet und greifen das Stichwort „Müdigkeit“ in einer grotesken Sequenz auf, die auf Rheumaknie und Hexenschuß basieren könnte. Doch eine spannende Beziehung zwischen Sprach- und Körperbildern entsteht dabei nicht. Zwar wollten Dieter Baumann, Choreograph von Rubato, und Ernst M. Binder, die „Wie der Wind im Ei“ im Auftrag des steirischen herbst inszenierten, bewußt keine Illustration des Dramas. Doch nun wechseln Tanz und Text sich ab, ohne Impulse über verschiedene Ebenen der Imagination zu treiben. So erweist sich der „Wind im Ei“ als heiße Luft, die aber noch längst kein gutes Soufflé garantiert. Katrin Bettina Müller
Bis 23. 11., Theater am Halleschen Ufer, 21 Uhr
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