Inszenierter Feel-good-Nationalismus

Dianas Tod zeigte, wohin die die westlichen Medien an beiden Enden des Qualitätsspektrums unaufhaltsam tendieren: zum Zirkus  ■ Von Michael Griffin

Auf einem Londoner Platz stimmte am Morgen nach der Beerdigung von Diana eine Kapelle der Heilsarmee eine der klagenden Melodien ihres randständigen Glaubens an. Eine Soldatin des Heils namens Kaye kam herüber und sprach über das Anliegen ihrer Kirche, vermied jedoch in ihrer Barmherzigkeit jeden Hinweis auf das allzu Offensichtliche. Wir sprachen über anderes. Die Minuten vergingen, und die altmodisch-würdevolle Musik verkündete, worauf es ihr ankam: daß Fremde sich zueinander menschlich verhalten. Eine alte Frau, die ihr Leben schon lange nur noch in der eigenen Wohnung zubringt, steckte ihren Kopf aus dem Kellerfenster und wollte wissen: „Geht es um Di?“

Ja und nein. Die stoische Blasmusik mit ihrem Echo von Verlust und Neubeginn war so angemessen, daß es wie inszeniert wirkte – wie so vieles in der vorangegangenen Woche. Männer und Frauen krochen mit von zuviel Fernsehen geschwollenen Augen aus den Trümmern ihres Lebens wieder ans Tageslicht. Manche hatten vielleicht ihr eigenes Schicksal begriffen: die Apotheose des Menschen zu einem unfreiwilligen Konsumenten von Gefühlen aus zweiter Hand, gebannt durch die Strahlen der Bildschirme. Was in dieser Woche mit Gefühlen passierte, ist schwer zu begreifen, vor allem für die schweigende Mehrheit dieses Landes, der das selbständige Denken schon vor dem Erwachsenwerden gründlich ausgetrieben wurde. Wir wußten alle, daß etwas Schockierendes passiert war. Bevor man jedoch seine eigene Reaktion darauf kannte, wurde sie schon auf fremdbestimmte Wege geleitet und einem großen, ebenso fremdbestimmten Trauerspektakel zugeführt.

Nachdem der Schock etwas nachgelassen hatte, wurde klar, daß wer sich nicht in den großen Tränenstrom geworfen hatte damit nur einmal mehr eine „große Erfahrung“ verpaßt hatte. Schließlich war dies die Gelegenheit, an einer ausführlichen Massenbeichte teilzunehmen, einer Selbstentlassung aus jeder Verantwortlichkeit für Dianas Tod, die nahtlos – und schamlos – in eine Verabschiedungsfeier der konservativen Ära überging – in der Diana, nicht wir, geglänzt hatte. Fremde wandten sich Fremden zu und trockneten einander die Tränen, vereint in einer großen, klassenlosen, mitleidigen Familie durch das, worin das Vereinigte Königreich – oder seine Medien – so gut ist: eine starke Gefühlsreaktion der Massen auf ein Ereignis – sei es eine Hungerkatastrophe, der World-Cup oder der Tod einer Prinzessin – in das gespenstische Theater eines „Feel-good-Nationalismus“ zu verwandeln, abgerundet mit einer Pavarotti-Arie oder einer Ballade von Elton John.

Dianas Tod zeigte, wohin die westlichen Medien an beiden Enden des Qualitätsspektrums unaufhaltsam tendieren: zum Zirkus. Man muß nur die Titelseite einer Zeitung von 1997 mit einer von 1987 vergleichen: Wo früher zwölf Nachrichten Platz hatten, gab es erst nur noch sechs, dann drei. Die Diana-Industrie hatte weniger mit dem durchaus vorhandenen Charisma ihrer Person zu tun als mit dem Zwang der Medienbesitzer, im Krieg der Boulevardblätter die Kosten zu senken. Mit wirklichen Nachrichten konnten sie keinen Profit mehr machen – und in der Annahme, daß es ihren Lesern darauf auch nicht mehr besonders ankam, schufen sie eine Ersatzversion, die gespenstisch einer Traumwelt glich.

Mit durchschlagendem Erfolg. Denn jeder wirkliche Horror wurde mit jedem veröffentlichten Foto der Prinzessin ausgeblendet. Jeder Paparazzo-Schnappschuß hinderte einen ernsthaften Fotojournalisten daran, ein Porträt der Welt, wie sie jenseits des vergoldeten Rahmens aussieht, unterzubringen. Jedes Dementi des Palastes untergrub den Lebensunterhalt eines Mitarbeiters in Lagos oder Ost-Timor. Ob wir wollten oder nicht, wir wurden alle Diana-Beobachter.

Ihr Tod reduzierte „Nachrichten“ auf ein einziges Thema, ein Soap-Opera- Requiem in der altbekannten Besetzung mit Helden und Opfern. Es fiel mit einem Ereignis in Algerien zusammen – und verdrängte es von den Titelseiten: das Massaker an 256 Menschen in Sidi Rais. Es ließ eine fällige Analyse der BBC-Entscheidung in den Hintergrund treten, warum (am Tag von Dianas Beerdigung; Anm.d.Ü.) die Nachrichten auf allen Radio- und Fernsehprogrammen, einschließlich des World-Service, vereinheitlicht wurden. Einen Vorgeschmack darauf bekam man bereits am Morgen nach ihrem Tod, als die Nachrichten auf sämtlichen Kanälen und Sendern der BBC aus einer einzigen Quelle stammten. Diana hatte immer schon damit gedroht, daß sie „im Weg“ sein würde: Sie war es in mehr als einem Sinne.

Das Schlüsselwort der Woche nach ihrem Tod war „Privatsphäre“. Wer sie zu Lebzeiten kritisiert hatte, tat es nun nur sehr vorsichtig und fand verstohlene Übereinstimmung mit anderen in makabren Diana-Witzen. Beim Spaziergang durch Londons leere Straßen (am Beerdigungstag; Anm.d.Ü.) fand ich schockierend, daß ihr Tod scheinbar so viele unglücklich gemacht hatte: Mediengeschädigte Berühmtheit posiert als Größe; medialer Druck auf die Tränendrüse simuliert Trauer.

Sechs Wochen später war das „Recht auf Trauer“ über die „Prinzessin des Volkes“ dann vom „Recht auf Information“ über die Bettgeschichten eines konservativen Abgeordneten verdrängt.

Die Mutter von acht Kindern, die im Massaker von Bentalha im September getötet wurden und deren Schmerz im Bild der „algerischen Pietà“ um die Welt ging, war untröstlich. Ihre Tränen waren echt.

Michael Griffin ist Nachrichtenredakteur bei „Index on Censorship“.