Bassline in fünf Minuten

■ Laurel Aitken, der 72jährige Grandfather of Ska, schrieb die Hits, für die andere kassierten. Der Jugend zuliebe bastelt er sogar Techno-Ska-Tracks, zu Hause hört er aber lieber Santana

Weil er fand, daß der Sound des Offbeats lautmalerisch wie „ska, ska, ska“ klänge, prägte er das Wort für diesen Musikstil — so will es die Legende. Aber Laurel Aitken, stolze 72 Jahre alt und seit über 40 Jahren im Geschäft, weist Ehrfurchtsbekundigungen wie den Titel des „Godfather of Ska“ bescheiden zurück. Man habe unter der Sonne Jamaicas eben viel getanzt, gesungen und musiziert. Und diesen Stil, der seine Wurzeln im Offbeat des Boogie-Woogie hat, zusammen entwickelt. Dazu warf man Calypso-Rhythmen, spanische und lateinamerikanische Einflüsse (Aitken kam als Junge aus Kuba nach Jamaica und spricht fließend spanisch) zusammen, dazu eingängige Blues-Schemata oder Zwei-Akkord-Arrangements und natürlich die positive Vibrations. Deren Wirkungskraft scheinen die ska-üblichen Riesenhallen voll seliger, rastagelockter Menschenkinder, die verschwitzt im Offbeat zwischen stiernackigen Skinheads mit Fred-Perry-Shirts samt Hosenträgern und Renee- Girls mit geschorenen Köpfen und Ponys herumhüpfen, zu bestätigen.

Mit den Skinheads, die das erste englische Ska-Revival in den 60ern als „working man's music“ einläuteten und die auch heute noch Ska neben dem stupiden, gleichförmigen Oi-Sound als „ihre“ Musik verstehen, hatte Aitken angeblich nie Probleme. „Die, die zu meinen Konzerten kommen, sind bestimmt keine Rassisten oder Nazi- Skins“, meint er beschwichtigend. „Sie würden ja sonst nicht kommen. Ich spiele für Leute, die sich gegenseitig respektieren und die ich mit meiner Musik glücklich machen kann. Das macht mich nämlich glücklich...“ So einfach ist das.

1980 landete Aitken mit „Rudi got married“, einer Art Fortsetzung zur Oldschool- Ska-Hymne „A message to you, Rudy“, den einzigen UK- Charts-Hit seines Lebens, und das auf dem Höhepunkt der Two- Tone-Ära, dem zweiten Ska-Revival in Europa. Erfolgreicher war der „Highpriest of Reggae“ nie, obwohl er es hätte sein können.

Er schrieb Hits, für die andere kassierten: UB40 coverten „Guilty“ auf ihrem Album „Labour of love“, und auf dem Soundtrack zu dem David-Bowie-Film „Absolute Beginners“ sind zwei Aitken-Stücke zu hören, für die es ebenfalls keine Tantiemen gab. „Jetzt können die Leute mir nichts mehr stehlen, denn ich bin Mitglied bei der MCPS (der englischen Gema, einer gemeinnützigen Urheberrechtsgesellschaft. Anm. d. Red). Ich kam 1960 aus Jamaica, wo es so was nicht gab, nach England. Ich habe 10 oder 12 Jahre lang nicht gewußt, daß man seine Rechte schützen muß“, sagt Aitken rückblickend. Und lächelt, daß die Goldkronen blitzen. Der Songwriter und Producer Aitken, dessen Kreativität rund ein Lied am Tag herausschießt — „Ich muß nur in der richtigen Stimmung sein. Dann schreibe ich den Basistrack plus Basslinie in fünf Minuten. Ich habe immer viele, unfertige Songs, auf die ich mich freuen kann“ –, hört „zu Hause eigentlich gar keinen Ska“, sondern zum Beispiel Santana. „Ich liebe ,Black Magic Woman‘ und die kubanischen Rhythmen in ,Oye cómo va?‘“. Überhaupt mag er viele Musikstile: „Ich bin quasi in die Ska-Musik hineingeboren worden. Aber ich kann alles singen: Jazz, Soul, Lionel-Ritchie-Songs. Ich habe gerade einen Techno-Ska-Track gemacht, für junge Leute wie meine Tochter.“ Die ist 30, bekommt gerade ein Kind und wohnt momentan in Aitkens Haus im englischen Leicester. Der zukünftige „Grandfather of Ska“ erinnert sich schlitzohrig an wildere Zeiten: „Ich habe schon ein Enkelkind in Jamaica und eines in Kanada, aber ich kenne sie nicht...“

Damals textete Tausendsassa Aitken mehrdeutig „I'm Benwood Dick. The man with the long, long, long sugarstick“, arbeitete mit anderen Stilbegründern wie Rico Rudriguez und Doreen Shaffer und betreute das Londoner Ska- und Reggae-Label Nu Beat. Wenn Aitken heute als Hauptact mit Ska-Rocksteady- und Reggaekünstlern wie Dave Barker oder King Hammond auftritt, hat der kleine, alte Mann den Saal ganz selbstverständlich nach fünf Minuten aufgeweckt. „Spätestens bei ,Skinhead‘ hüpfen Fans auf die Bühne und singen und tanzen mit, obwohl die Veranstalter das immer verbieten...“, erzählt er stolz. Und da heutzutage ehemalige Skahelden wie Specials-Sänger Terry Hall lieber trübsinnig in No Doubt- Videos auf Hollywoodschaukeln sitzen, anstatt Keep on skanking! zu rufen, ist das doch sehr tröstlich. Jenny Zylka

„Easter Ska Jam 98“ mit Laurel Aitken, Dave Barker, King Hammond, The Bluebeats

15.4. München, Incognito; 18.4. CH-Zürich, Dynamo; 19.4. Freiburg, Jazzhaus