Opfer, Opfer, Opfer

Seit Ostermontag rückt die ARD in sechs Folgen die Sache mit der Ehre der Wehrmachtssoldaten zurecht. Fazit: Ein Greuel war der Krieg vor allem für die Landser  ■ Von Dietrich Kuhlbrodt

Um „Versachlichung“ gehe es, schreibt ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann. Die ARD, angeführt vom MDR, wolle mit dem Sechsteiler „Soldaten für Hitler“ die Diskussion über die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung nun „versachlichen“. Ziel der Prime-time-Sendungen, die seit Ostermontag laufen: die „entscheidende“ Antwort auf die Frage, „welche Traditionen der Wehrmacht übernommen werden können und welche nicht“.

Wie also würden Sie entscheiden? Wenn Sie die gutmütigen Opas-mit-dem-bunten Schlips gesehen haben, die zwischen den schwarzweißen Dokumentarschnipseln sagen, was Sie denken sollen. „Der Einsatz“ (So hieß die SFB-Auftaktfolge) war für viele junge Menschen ein „Abenteuer“, um mit Hilfe des „Reisebüros Wehrmacht“ die Bordelle des „schillernden Paris“ zu besuchen. Der „Blitzkrieg“ war so schnell vorbei, daß man Opfer gar nicht sehen konnte. Zwar haben wir durchs Bombenzielvisier geguckt und die Täterperspektive eingenommen, aber das aus viel zu großer Höhe, um Zivilisten wahrzunehmen. Und die kamen in dieser Folge auch gar nicht recht vor, weil dafür der NDR zuständig ist (Teil 3: Die Verbrechen).

Und doch gibt es schon jetzt Opfer genug. Dem „deutschen Landser“ ist Leids geschehen. Beim Einrücken fing's an, klagt Ex- Hauptmann Richard von Weizsäcker. Es fehlte an Blumen „wie 1914“, und „wir sind bei Dunkelheit zum Verladebahnhof geführt worden“. Wie konnte da im Rußlandfeldzug „der deutsche Soldat die unermeßlichen Strapazen ertragen – und die Greuel“? fragt Teil 2, „Die Niederlage“ (SDR). Wieder müssen wir Betroffenenleid ertragen: nix zu futtern, nix zum Anziehen, nix zum Heizen, nix für den nächsten Schuß. Greulich! Und dann noch die „Blutmühle“, die „Millionen Männer verschlingt“. Männer, deutsche! Nicht vergessen: Soweit es um Opfer, die nicht Landser sind, geht, hat der NDR das Wort. Aber bevor es soweit ist, dauern uns noch die freundlichen alten Herren, die uns freimütig erzählen, daß sie Angst hatten und dabei nichts taten, als sich zu verteidigen. Zum Schluß wird Lili Marleen zu Gehör gebracht. Wer wischt sich da nicht eine Träne aus dem Auge?

Der NDR (Teil 3) verschweigt dann nicht, daß Zivilbevölkerung „völkerrechtswidrigen Befehlen der Wehrmachtsführung“ zum Opfer fiel. Bloß daß die, die in der Grube liegen, jetzt nicht mehr ihr Betroffenenleid in die Kamera jammern können. Das bleibt Unteroffizier Pfarrer Rudolf Weckerling vorbehalten: die Bibel verbiete, „unschuldige Opfer“ anzutasten. Aber die Täter, „einfache Landser“, „junge Menschen Anfang 20“, waren durch einen „absurden Weltanschauungskrieg“ überfordert. Auch Opfer, irgendwie, „aus der Perspektive von unten“. Welch Leid der Krieg doch bringt, Kamerad!

Schnell zur Perspektive von oben: „Die Generäle“ (Teil 4). Opfer, auch diese. Erfahren wir vom MDR. In einer italienischen Höhle werden Leichen geborgen; ein Verbrechen des Generalfeldmarschalls Kesselring? „Seine genaue Rolle ist heute umstritten, doch er wird von einem Militärgericht nach dem Kriege verurteilt.“ Ein Generalfeldmarschall Opfer eines Justizirrtums! Und dabei war er doch „kein Nationalsozialist. Er war „eine große Persönlichkeit in einer tragischen Verwicklung“. Alle Opfer, Opfer, Opfer. Und das ist die Wahrheit! Generalstabschef Halder hatte sein Amt nur angetreten, „um Widerstand gegen Hitler zu leisten“, denn „er war entsetzt über diesen Menschen: er fand ihn grauenhaft, unlogisch, ungebildet“, erinnert Enkelin Heidemarie Gräfin Schall-Riaucour. Ja, General Halder kam nach dem 20.Juli 1944 ins KZ Dachau, und so wissen wir denn, daß auch die Wehrmacht von dieser Einrichtung betroffen war.

Wechseln wir an dieser Stelle für einen Moment den Ton, der ein wenig hämisch war, und das geht nicht anders, wenn die Revision der Wehrmachtsausstellung durch den MDR und ARD so bescheuert ausfällt, wie sie ausfällt. Aber es gibt eine Ausnahme: der WDR. In der Folge 5 („Der Widerstand“) plädiert Autor Raimund Koplin für jene Soldaten, die den Treue- eid brachen und fahnenflüchtig wurden („kein Akt der Feigheit, sondern nationale Pflicht“), desertierten (es waren über hunderttausend) und dem Nationalkomitee „Freies Deutschland“ beitraten. Helden sind in diesem Beitrag nicht Generäle, sondern Kriegsdienstverweigerer und Zeugen Jehovas. Sauber enttarnt Koplin die Legende, daß es immerhin einen einzigen (!) Wehrmachtssoldaten gegeben habe, der wegen Befehlsverweigerung erschossen worden sei, und er geißelt, daß bis in die jüngste Zeit Juristen, Politiker und Bundeswehroffiziere an der Legalität der 22.000 Nazi-Fahnenfluchturteile festhalten.

Der WDR-Beitrag: ein Lichtblick im legitimatorischen ARD- Schmus. Leider schmiert der MDR in der letzten Folge („Das Erbe“) alles wieder zu. Weinerlich beklagt ein Oberkanonier die „Rollenzuweisung, wie sie in allen Diktaturen funktioniert“ und heischt Mitleid, denn „man hat mich gemordet, ohne daß ich gefallen bin“. – Wieder ist von Ermordeten, die echt tot waren, nicht die Rede. Denn das Schlimme ist doch, daß „eine spezielle Berufsgruppe“ (MDR-Sprache. Übersetzt: Soldaten) nach dem Krieg arbeitslos geworden war. Schon 1945! Alles wegen der „Sieger“! Millionen Arbeitslose! Wo bleibt die Solidarität?! – Wie war es noch gedacht? Ob wir dies Gedankengut übernehmen, sollten Sie entscheiden.

„Die Niederlage“ (SDR), heute;

„Die Verbrechen“ (NDR), 17.4.;

„Die Generäle“ (MDR), 22.4.;

„Der Widerstand (WDR), 24.4.;

„Das Erbe“ (MDR), 27.4.;

alle Folgen um 21.45 Uhr, ARD