Unterstellter Gebärwunsch

■ betr.: „Eier in Truhen und Bäu chen“, taz.mag vom 4./5.4. 98

Frau Sander geht von der Prämisse aus, jede ungewollt schwanger gewordene Frau hätte einen Kinderwunsch und müsse durch die ebenfalls ungewollte Abtreibung ein Trauma davontragen. Zwar schreibt sie zeilenlang über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren Körper, ihr Recht auf Abtreibung, aber dennoch geht sie davon aus, daß keine Frau, die abtreibt, dies wirklich will. Immer liegt ein Verschulden der Gesellschaft vor oder eine Extremsituation wie Schwangerschaft durch Vergewaltigung oder ein ungewolltes behindertes Kind.

Komischerweise gibt es auch Frauen, die gar keine Kinder wollen oder mögen und die deshalb abtreiben, in deren Fall hat nicht die Gesellschaft versagt, sondern das Verhütungsmittel – sofern eines benutzt wurde –, und versagt hat auch Frau Sander, die allen Frauen einen Gebärwunsch unterstellt, ohne zu hinterfragen, inwieweit der Gebärwunsch von der Gesellschaft der Frau aufoktroyiert wurde. [...]

Warum soll eine Abtreibung unbedingt mit Trauer verbunden sein? Es ist eher ein erfreuliches und erleichterndes Erlebnis, welches einer Frau auch von der Gesellschaft, in der sie lebt, so leicht wie möglich gemacht werden sollte. Ob Frau Sander mal darüber nachgedacht hat, wieviel Trauer und Elend für beide Seiten darin liegen, wenn eine Frau ein von ihr unerwünschtes Kind großziehen muß? Warum ein neues Wort? Vielleicht ganz klinisch „Abortus“, klingt schön steril und hat wenig Chancen, in die Umgangssprache einzuziehen – oder „Schwangerschaftsabbruch“? [...] Kerstin Witt, Berlin