Armes und reiches Lächeln

■ Rot-Grün will die Kostenerstattung beim Zahnarztbesuch abschaffen. Auch die Streichung des Zuschusses für den Zahnersatz der nach 1978 Geborenen soll wieder rückgängig gemacht werden

In Zukunft solle man Arm und Reich nicht am Lächeln unterscheiden, plakatierte die SPD im Wahlkampf und agitierte so gegen die Regelung, daß alle nach 1978 Geborenen keinen Zahnersatz mehr von der gesetzlichen Krankenkasse finanziert bekommen – Unfälle oder besondere Krankheiten ausgenommen. Zudem werden Zahnarztpatienten seit Januar 1998 in der gesetzlichen Krankenversicherung wie Privatpatienten behandelt – zumindest was die Honorare angeht. Man muß das Geld für Prothesen, Brücken, Kronen und dergleichen selbst bezahlen – kann sich aber von der Kasse einen Festzuschuß wiederholen. Beide Regelungen will die rot-grüne Regierungskoalition schon bald wieder aufheben.

Bisher gilt: Ist die Rechnung höher als der Festzuschuß, bleibt man auf einem Teil der Kosten sitzen. Nicht in jedem Fall ist das ungünstiger als nach den alten Regelungen, die prozentuale Zuschüsse vorsahen. „Es wäre sachlich falsch zu sagen, daß alles teurer geworden sei“, betont Manfred Beck, Geschäftsführer der Zahntechniker-Innung Berlin-Brandenburg.

Nun beträgt etwa in Berlin für eine Verblendkrone (Keramik) mit gegossenem Stiftaufbau der normale Festzuschuß 290 Mark, und es sind 685,42 Mark Zuzahlung fällig. In Härtefällen werden die Festzuschüsse verdoppelt, die Zuzahlung sinkt also in diesem Beispiel auf 395,42 Mark. Als Härtefall gilt ein niedriges Einkommen, die Grenzen sind dieselben wie für die Zuzahlungspflicht bei Medikamenten und Massagen. Und wie dort gibt es auch beim Zahnersatz noch eine Überforderungsklausel, die ab einer bestimmten Ausgabensumme pro Jahr zusätzliche Ermäßigungen gewährt. Auch eigene Vorsorge wird belohnt. Wer in den letzten fünf Jahren – Beweismittel Bonus-Heft – einmal jährlich beim Zahnarzt war, kriegt um 20 Prozent höhere Festzuschüsse, nach zehn Jahren um 30 Prozent erhöhte.

Naheliegende Einsparmöglichkeiten gibt es auch beim Material. Es muß nicht immer Gold sein, nicht sichtbare Metallteile kann man unverbendet lassen, aber wenn der Kunststoffüberzug nur ein paar Jahre hält, wird die Sparsamkeit dann schon fragwürdig.

„Seit Anfang dieses Jahres ist durch die Verunsicherung ein verstärkter Beratungsbedarf festzustellen“, berichtet Pressesprecherin Gabriele Rähse von der Berliner AOK. „Wir haben eine Hotline zum Thema Zahnersatz geschaltet.“ Die PatientInnen müssen schließlich entscheiden, was sie machen lassen möchten. Dazu muß der Zahnarzt vorab in einem „Heil- und Kostenplan“ erklären, was Brücken, Kronen oder ähnliches kosten werden.

„Zwei aktuelle Erhebungen der gesetzlichen Krankenkassen haben gezeigt, daß etwa ein Drittel der Zahnarztrechnungen überhöht sind“, stellt der AOK-Bundesverband in einer Broschüre fest. „Himmelschreiender Humbug“ seien solche Vorwürfe, sagt dagegen Jürgen Seligmann, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin-Brandenburg. Er beklagt, daß die in der Untersuchung beanstandeten Heil- und Kostenpläne nicht offengelegt würden. „Die Ersatzkassen haben uns nie die Möglichkeit gegeben, diese Zahlen zu überprüfen.“ Umgekehrt argumentiert man ähnlich: „Die Instrumente, im Interesse unserer Versicherten die Qualität und die Aufstellung der Rechnungen zu überprüfen, sind uns weggenommen worden“, sagt etwa Robert Johann, Mitarbeiter der Landesvertretung Berlin-Brandenburg der Techniker Krankenkasse. Dies sei „ein Bruch, der zum ersten Mal in diesem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht worden ist“.

Weniger im Blick der Öffentlichkeit stand die Preisentwicklung bei den Laboren, die die „Dritten“ anfertigen. Seit Januar gilt für die Zahntechniklabors die freie Marktwirtschaft, und das bedeutete angesichts der staatlich erzwungenen Sparsamkeit: Runter mit den Preisen! Der Umsatz der Zahntechniker in Berlin und Brandenburg betrug „in den ersten drei Quartalen 1998 gerade 52 Prozent des gesamten Vorjahres“, berichtet Manfred Beck, Geschäftsführer der Zahntechniker-Innung. In Berlin-Brandenburg lag die Arbeitslosenquote in dieser Branche bei 21 Prozent, die absolute Zahl der Betroffenen hat sich hier seit Dezember 1997 fast verdoppelt. „Die Kette beginnt in der Zahnarztpraxis“, meint Beck.

Oder sogar davor. Offenbar gingen viele gar nicht erst in die Praxis, meint KZÄV-Chef Jürgen Seligmann: „Die Nachfrage nach zahnärztlicher Versorgung ist generell sehr dürftig. Der Patient wird durch die öffentliche Unsicherheit abgehalten, so locker und gelöst wie sonst den Weg zur Praxis anzutreten.“ Matthias Fink