"Wir sind die Kirche im Dorf"

■ Aus Söhnen werden Väter: Gestern noch Regie-Jungstar, leitet Stefan Bachmann seit dieser Spielzeit das Theater in Basel. Ein Gespräch über Jugendkultur und Apokalypse, Großstadtoasen in der Provinz, Frank Cas

Stefan Bachmann (32) ist ein wilder, junger Theaterregisseur, der aus Zürich stammt. Zehn Jahre lang lebte er in Berlin, wo er zunächst die freie Gruppe Theater Affekt gründete, dann bald aber vom Staatstheater aufgesogen wurde. Er inszenierte am Hamburger Schauspielhaus, in der Berliner Volksbühne und bei den Salzburger Festspielen. Manche Berliner fanden ihn zu forciert jung, manchen Zürchern wäre er zu forciert wild. Seit dieser Spielzeit leitet er das Schauspiel am Theater Basel, zusammen mit Weggefährten des Theaters Affekt. Das liberale Basel feiert den Mann, der die Spielzeit „Apokalypse“ tauft. Aus Schweizer Sicht wurde Armageddon aber verschoben: Das lange darbende Schauspiel in Basel präsentiert sich einen Monat nach seiner Auferstehung frisch und variantenreich.

taz: Im Vorfeld Ihrer Arbeit in Basel haben Sie davon gesprochen, daß Sie auch integrieren und dem Stadttheater gerecht werden möchten. Ich habe den gegenteiligen Eindruck, daß Sie selbst integriert werden. Die großzügige Stadt leistet sich ein bißchen Jugendkultur – alles ganz harmlos?

Stefan Bachmann: Im Moment tönen die positiven Stimmen bloß lauter als die negativen. Spannend finde ich, daß es in Basel noch ein intaktes Abo-System gibt. Das kaufen sich nicht nur Bürgerliche. Ich zitiere immer wieder gerne den denkwürdigen Vorgang in den Sechzigern, als die Stadt Basel per Volksabstimmung den Kauf eines Picasso-Bildes beschlossen hat. Nach der Annahme hat Picasso gleich noch eins dazugeschenkt. Und es ist zweifellos richtig, daß wir eher an einer Einladung als an einer aggressiven Konfrontation interessiert sind.

Nicht daß wir Konfrontation vermeiden wollen, wir verbiegen uns nicht. Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Hebbels „Maria Magdalene“ war klar ein Risiko. Wir hatten keine Ahnung, wie das hier ankommen würde. Am Stadttheater an sich reizt mich die Struktur, sicher nicht die Ästhetik. Es gab hier Zeiten unter Werner Düggelin, später unter Frank Baumbauer, die gar nicht provinziell waren. Daran möchte ich anknüpfen. Nach den beiden letzten, schlechten Spielzeiten habe ich hier eine Aufbaumöglichkeit, kann auf drei Bühnen achtzehn Produktionen machen. Abgesehen davon bin ich im Moment ganz gücklich, etwas abseits dieser deutschen Bundesliga zu stehen.

Sie und Andreas Kriegenburg konnten sich beide an der Volksbühne nicht durchsetzen. Man hört immer wieder, es sei schwierig, neben Frank Castorf zu arbeiten. Jetzt war der Chef selbst hier, wenn auch für die „Otello“-Oper. Und Kriegenburg hat die besseren Kritiken als Sie für Shakespeares „Troilus und Cressida“ gekriegt. Wollen Sie als Hausherr weiterhin so gute Leute um sich haben?

Ich hatte noch nie eine derartige Profilneurose, die Qualität anderer nicht anerkennen zu können. Wir werden hier alle roten Teppiche ausrollen, daß Kriegenburg wieder hier arbeitet, was nicht ganz einfach ist, da er fest nach Wien geht. Ich hätte selbst dann an ihm festgehalten, wenn seine Hebbel- Inszenierung nicht diese Qualität gehabt hätte. Das ist einer der besten Kriegenburgs überhaupt! Solch ein Regisseur ist enorm wichtig für das Ensemble, weil er die Leute in seine ganz anders geartete Welt verführen kann. Das Ensemble lernt so, sich auf unterschiedliche Formen einzulassen. Nicht wie an der Volksbühne, wo nur der Castorf-Style seine Gültigkeit hat. Die Schauspieler sind dort vom Castorf-Denken regelrecht infiziert. Ich weiß, daß ich da zwei nicht so gute Arbeiten produziert habe, was sicher auch an mir lag. Der Druck war groß, vielleicht wollte ich was beweisen, was ich nicht bin. Am Hamburger Schauspielhaus habe ich viel entspannter gearbeitet, war besser betreut, fühlte mich behüteter und gewollt. Da ist Castorf eben auch nur einer unter vielen und nicht der einzig Wahrheitsverkündende. Auch hier: Baumbauer in Hamburg und sein Pluralismus sind mir Vorbild. Aber klar, wir müssen uns nicht so scharf abgrenzen wie die Volksbühne in Berlin. Wir sind die Kirche im Dorf, wir können einen größeren Bogen spannen.

Über der Spielzeit im Theater Basel steht programmatisch „Apokalypse“. Nach Ihrem Shakespeare, nach Hebbels Familiendrama „Maria Magdalene“ und nach „Einfach unwiderstehlich!“ von Bret Easton Ellis, spätestens aber nach ihrer Premiere des 68er-Renners „Magic Afternoon“ von Wolfgang Bauer müsste das Motto doch eigentlich „Vatermord“ heißen.

Diese Schiene ziehen wir mit dem Spielplan gar nicht durch. Danach kommt Ruedi Häusermann, dann Jossi Wieler. Wir haben ganz klar definiert, daß wir nicht ein Theater der Dreißigjährigen machen möchten. Das wäre mir auch ein bißchen zu hip. Wir stehen nicht für eine flotte Jungmannschaft, wo alles über Fünfunddreißig durchfällt.

Inhaltlich bleibt dieser Eindruck nach einem Monat aber bestehen. Von Apokalypse sehe ich noch nicht viel.

Wir nähern uns immer noch schrittweise dem Thema an. Wir merkten, daß wir nicht im vornherein die Theorie griffbereit haben können und dann in der Spielzeit nur noch den Vollzug inszenieren. Theoretisch sind wir überhaupt nicht abgesichert. So ein bißchen Baudrillard kennen wir schon, Cioran oder so, haben mal in der Bibel etwas nachgelesen. Doch wir können nicht in jeder Inszenierung die ganze Apokalypse abhandeln. Wir können nur kleine Segmente einführen. Zum Schluß der Spielzeit wird es einen Apokalypse-Raum geben, wo sich auf zeitlich wie örtlich engem Raum viele kleine Produktionen abwechseln sollen. Erst in der Rückschau werden wir sehen, ob sich ein Bild von apokalyptischen Visionen zusammensetzt.

Donnerstags macht ihr den „K!ub“ in einer Außenspielstätte als Versuch, Hipness mit Theater in Verbindung zu bringen. Institutionen, die auf junge Szene machen, wirken schnell bemühend.

Ich war da selbst skeptisch. Doch die ersten zwei Abende waren ungeheuer erfolgreich. Offenbar gibt es in Basel ein großes Bedürfnis danach. Wir streuen theatralische Miniereignisse ein, wie etwa die trojanische Modenschau mit Leuten aus meinem Shakespeare-Ensemble oder den Videospielkampf zwischen zwei Schauspielern. Der Rest ist ein Versuch, eine kommunikative Atmosphäre zu schaffen. Dieser Raum verpflichtet einen dazu. Die Leute fahren darauf ab, als hätten sie ihn zum ersten Mal gesehen. Ob die dann unmittelbar danach ins Theater gehen, wage ich zu bezweifeln.

Muß die Basler Szene darauf warten, bis ihr das Theater solche Räume einrichtet?

Natürlich gibt's hier so eine gewisse kleinstädtische Trägheit in diesem Basel. Wir beim Theater, die fast alle aus Hamburg oder Berlin kommen, merken den Verlust der Großstadt und schaffen uns dieses urbane Klima damit selber. Wir wollen schon darauf achten, daß der Raum unter unseren Fittichen bleibt. Es soll kein weiterer Klub in der Innenstadt sein mit angestrengter Jugendkultur.

Der Chefdramaturg Lars-Ole Walburg sagte einmal, man wolle sich in Basel nicht zwanghaft von 68 abgrenzen. Jetzt haben Sie den 68er-Renner von Wolfgang Bauer inszeniert, „Magic Afternoon“. Lese ich das Stück heute, wird doch 68 wie von selbst denunziert: Bekiffte Bürgersöhne als Opfer der Konsumkultur bringen sich gegenseitig um. Die Haschischraucher von damals benehmen sich wie heutige Grundschüler, die zuviel Coca-Cola gelöffelt haben.

Für mich zeigt das Stück eine Seite von 68, die man erst mal gar nicht damit assoziiert. 68 soll unglaublich engagiert gewesen sein, alle haben Adorno gelesen und wußten, wo's hingehen soll. Nun habe ich mir den Spaß gemacht, alle mir bekannten Leute in diesem Alter zu fragen, was sie denn 68 gemacht haben. Kein einziger war auf einer Demonstration, niemand hat in einer WG gewohnt. Und das waren nicht mal besonders bürgerliche Leute, viele kommen aus dem Kulturbetrieb. Schon immer habe ich mich gefragt, wie es kommt, daß „Magic Afternoon“ 68 genauso trostlos zeigt, wie ich die Achtziger erlebt habe. Man sitzt rum, man langweilt sich, man weiß nicht, wo's hingehen soll, und man feiert schon schlechte Filme als Kult.

Trotzdem, auf dem Text liegt Patina. Eine Aktualisierung fände ich unspannend. Ich mache eine historische Rückschau. Jede Platte wird original gespielt, und es gibt kaum Textstriche, sogar die Regie- Anweisungen will ich alle befolgen. Die einzige Brechung liegt im Alter der vier Schauspieler, die alle 68 jung waren. Und es sind keine Österreicher, werden von mir aber gezwungen, so zu reden. Das Alter verleiht dem Stück heute eine ganz andere Wahrhaftigkeit. Hier ist Bauer der Versuch geglückt, ein théÛtre vérité zu gestalten, in einer Echtzeit was zu erzählen, auch wenn er sich am Schluß in einer Krimidramaturgie verrennt. Das Stück war trotzdem zu Recht der große Renner.

Die Geradlinigkeit, mit welcher Konsumkids für schwachsinnig erklärt werden, stößt heute eher übel auf.

Das darf nicht die Konsequenz des Abends sein, klar. Der Schluß vermittelt vielleicht diesen Eindruck, da muß ich schon eine Haltung einnehmen dazu. Mich interessiert das Nicht-von-der-Stelle- Kommen, wie ich Langeweile spannend darstellen kann. Und diese Sätze stimmen ja unglaublich. Gegen den Schluß sagt eine Figur: „Die Wölt is nämlich unhamlich schiach.“ Und dann versenken sie den Globus im Klo. Das ist Weltliteratur, großartig, philosophisch!

In Castorfs „Otello“-Oper und in Ihrem Shakespeare: Immer geht es um die Demontage des Heldentums. Hinlänglich bekannte postmoderne Programmhefttheorie. Nur, Sie sind doch auch ein Held. Müßten Sie sich nicht selbst abschaffen?

Bin ja leider kein Held. Kein rotes Cape, kein großes S auf dem T-Shirt.

Wer sind denn die Helden heute?

Na, die Sportler.

Ihr Inszenierungsstil hat doch etwas sehr Sportliches.

Das ist eine schöne Idee. Das gefällt mir. Interview: Tobi Müller