Vertraute Chiffren

Killers spirituelle Reise: Jim Jarmusch, sein Film „Ghost Dog“ und der Mythos Independent  ■ Von David Kleingers

Auftragskiller und Autorenfilmer haben etwas gemeinsam: Unabhängigkeit bedingt ihren Erfolg. So will es zumindest das Klischee, mit dem beide Professionen im filmischen Kontext behaftet sind. Wie es um die Unabhängigkeit des Mörders beziehungsweise des Künstlers aus Berufung bestellt ist, kann vielleicht Ghost Dog: The Way Of The Samurai des diesjährigen Douglas-Sirk-Preisträgers Jim Jarmusch verdeutlichen, der morgen beim Filmfest Deutschland-Premiere hat.

Vier Jahre nach seinem enigmatischen Western Dead Man (1995) illustriert der Regisseur erneut die Geschichte eines hitman, wobei diesmal eine zeitgenössische Großstadt als Kulisse für den Passionsweg des Killers dient. Hier tötet Ghost Dog (Forest Whitaker) im Auftrag seines Mentors Louie (John Tormey) abtrünnige Mafiosi. Aber der Afroamerikaner Ghost Dog begreift sich selbst als Inkarnation eines japanischen Kriegers, der gegenüber dem widerstrebenden Ersatz-Shogun Louie zu unbedingter Loyalität verpflichtet ist, und aus dieser Konstellation entwickelt der Film seine Erzählung über die spirituelle Reise des Protagonisten.

In Jarmuschs erstem Spielfilm, Permanent Vacation (1980), sind die Begegnungen des Hauptdarstellers im verwaisten New York noch eigenständige Vignetten, deren Reihung keiner zwingenden Kohärenz verpflichtet ist. Auch in Ghost Dog treffen entfremdete Menschen aufeinander, doch hier ist das narrative Korsett ungleich fester geschnürt. Dies wäre an sich keine Sensation, aber schließlich wurde Jarmusch in den vergangenen 19 Jahren zur Ikone des amerikanischen Independent-Kinos aufgebaut. Seismisch genau verzeichneten die Feuilletons jede Erschütterung des verehrten Auteur-Denkmals und arbeiteten sich solange an Inkonsistenzen ab, bis diese ins Bild vom lakonischen Erzähler mit der Silbermähne passten.

Tatsächlich finden sich in den bisherigen Filmen genügend Parallelen, die auf wiederkehrende Motive und Thematiken verweisen. Mit Stranger Than Paradise (1984) und Down By Law (1986) führte Jarmusch den deadpan humor seiner Figuren ein, auf den sich schon bald Dutzende völlig humorloser „Indie“-Filme beriefen. Damals war die Welt der Hipster noch in Ordnung, und Jarmusch hatte ihnen mit John Lurie, Tom Waits und Roberto Benigni die definitive Boygroup für intellektuelle Bohemiens präsentiert. Im New Cinema der späten 70er Jahre hatten Regisseure wie Amos Poe (The Foreigner) die Post-Punk-Attitüde aus der Alphabet City auf die Leinwand gebracht, und Jarmusch kombinierte in seinen ersten Filmen diesen Gestus mit dezidiert europäischen Bildformeln.

Mystery Train (1989) war die Fortsetzung dieses modernistischen Programms, in dem Kunst kein Schimpfwort ist, sondern das farbenfrohe Geflecht von Literatur, Film und Musik beschreibt. Und da Robby Müllers Kamera die Auftritte von Pop-Delinquenten wie Joe Strummer in ihrer liebenswerten Absurdität fotografiert, sind Jarmuschs Exkursionen in das mythische heartland Amerikas frei von zynischer Schlaumeierei. Wie der vorherige Film bemühte auch Night On Earth (1992) eine Episoden-Struktur, um das beinahe beängstigende Star-Aufgebot zu entschärfen. Trotz der formalen Fertigkeiten drängte sich hier allerdings erstmals der Verdacht auf, dass der Independent-Mythos zu einem konventionalisierten Offbeat-Chic verkommen könnte.

Doch nachdem sich in Dead Man die Gitarre von Neil Young durch die schwarzweiße Bilderwelt fräste – und dabei eine ganz eigene Geschichte intonierte –, galt Jarmusch als immun gegenüber dieser gentrification vormals subversiver Erzählstrategien. Ob in Ghost Dog die vertrauten Chiffren so offensichtlich auf Jarmuschs frühere Filme rekurrieren, damit die Verunsicherung seines Stammpublikums nicht allzu groß ausfällt, sollen berufene Exegeten klären. Dass die Allegorie vom schwarzen Samurai in der linearen Inszenierung zu einem handfesten Lebensentwurf gerinnt, ist da schon interessanter. Die ganze kontemporäre Wu-Tang-Mystik ist viel zu sinnstiftend in Bild und Ton gesetzt, als dass hier Raum für Zweifel wäre: Ghost Dog ist der beste Freund des Menschen, liest obendrein gute Bücher und ist nett zu Tieren. Mutig ist die Abkehr vom dead white male-Mythos schon, aber Joe Strummer hätte trotzdem den besseren Samurai abgegeben. Als Rude-Boy-Version von Alain Delon könnte er auf Tom Waits in der Rolle von The RZA treffen – vielleicht schon im nächsten Film von Jim Jarmusch.

„Ghost Dog: The Way Of The Samurai“, morgen, 20.15 Uhr, CinemaxX 1, 29. September, 20 Uhr, Zeise 1