„Es gibt jetzt neue Richter“

■ Der Opferanwalt José Zalaquett sitzt mit Militärs am Runden Tisch

taz: Was hat sich in der chilenischen Gesellschaft seit der Festnahme Pinochets verändert?

José Zalaquett: Zunächst war eine starke Polarisierung festzustellen. Mit der Zeit setzte aber ein Diskussionsprozess ein, und heute sind wir soweit, dass viele die Vergangenheit der Diktatur aufarbeiten wollen. Hinzu kommt der Generationswechsel. Der neue Chef der Streitkräfte ist 30 Jahre jünger als Pinochet, und diese Generation will sich mit dem, was war, auseinandersetzen. Auch gibt es eine neue Generation von Richtern, die andere Urteile über Verbrechen des Regimes fällt. Ohne die Festnahme Pinochets wäre der Runde Tisch zur Aufarbeitung der Vergangenheit, an dem ich selbst teilnehme, nicht möglich gewesen. Dort sitzen Rechtsanwälte von Diktaturopfern, Intellektuelle, Regierungsmitglieder und Militärs. Es ist das erste Mal, dass sich Menschenrechts-Anwälte und Generäle gegenübersitzen. Die Generäle müssen den Anwälten zuhören.

Was wollen Sie an diesem Runden Tisch erreichen?

Wir haben zwei Forderungen: Es gibt noch 900 Verschwundene, von denen man nicht weiß, wo und unter welchen Umständen sie ermordet wurden. Wir wollen, dass die Wahrheit darüber veröffentlicht wird. Außerdem wollen wir, dass das Militär seine institutionelle Schuld anerkennt.

Können Sie sich vorstellen, dass Pinochet in Chile der Prozess gemacht wird?

Hätten Sie mich das vor zwei Jahren gefragt, hätte ich geantwortet, es ist kaum denkbar. Heute sage ich Ihnen: Es ist sehr schwer, aber möglich. Es sind jetzt drei ranghohe Militärs festgenommen worden: Arillano, Gordón, beide in Chile, und Pinochet in London. Es bewegt sich langsam etwas. Aus humanitären Gründen würde Pinochet in Chile nicht ins Gefängnis müssen, aber das ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass er vor Gericht gestellt wird.

Die chilenische Rechte ist nicht mehr so aktiv wie noch vor wenigen Monaten.

Ich glaube, die Festnahme Pinochets half ihnen, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Der Rest der Welt sieht in Pinochet eben nicht den, der die Wirtschaft saniert hat, sondern sie sieht ihn als Barbaren. Die Rechte ist mittlerweile auch etwas zynisch. Sie wollen nicht den biologischen Pinochet, sie wollen den historischen.

Sind die Festnahmen von Militärs nicht nur taktische Manöver, um der Welt zu zeigen, dass in Chile die Täter verfolgt werden?

Ich glaube, das ist durchaus ernst gemeint. Das Verfahren gegen Gordón läuft schon seit 16 Jahren. Nur war es 16 Jahre lang in den Händen eines Richters, der sich nicht darum gekümmert hat. Die neue Generation der Richter aber will sich mit der Vergangenheit ihres Berufsstandes kritisch auseinander setzen.

Sollte Pinochet nach Spanien ausgeliefert werden und dort vor Gericht gestellt werden?

Pinochet sollte zurückkehren. Ich glaube, dass wir ihn hier verurteilen müssen. Wir sind es, die unsere Vergangenheit aufarbeiten müssen, nicht die Spanier.

Interview: Ingo Malcher