Screening-Kritik: Zu teuer, zu wenig Heilungserfolge

■ Von 10.000 Brust-Mammogrammen ergeben nur 1,4 Prozent Hinweise auf Karzinome

Die Stuttgarter Klinikgynäkologin Dr. Friederike Perl ist Skeptikerin der flächendeckenden Brustkrebs-Früherkennung durch Mammografie. Dennoch erhofft sie vom Bremer Screening-Pilotprojekt, dass es aussagekräftige Daten für Krebsfrüherkennung bringt.

taz: Deutschland gilt als Entwicklungsland in Sachen Brustkrebs-Früherkennung. Oft werden Mammografien falsch gelesen und mit dem Abtasten der Brust werden Knoten erst spät erkannt. Warum sind Sie dennoch skeptisch gegenüber der Reihenuntersuchung, die viele ExpertInnen für das beste Mittel gegen Brustkrebs halten.

Dr. med. Friederike Perl: Es gibt eigentlich nur eine – umstrittene – Studie, die schwedische „Zwei-Grafschaften-Studie“ von '85, die einen signifikanten Vorteil für Frauen gefunden hat, die am Screening teilnahmen. Bei allen anderen, auch jüngeren Studien war das nicht der Fall. Die Kanadier haben beispielsweise eine landesweite Untersuchung gemacht, die 1992 einen Null-Effekt bei der Mammografie erbrachte.

Aber mit Röntgen kann man Zellveränderungen doch früher als durch Tasten erkennen.

Man muss die Biologie des Krebses kennen. Von der ersten Krebszelle bis zum Tod des Organismus macht ein Tumor 40 Zellteilungen durch. Die Tastgröße eines Brustknotens hat mindestens einen Zentimeter Durchmesser – da hat der Tumor schon drei Viertel seiner Lebensdauer hinter sich. Dann ist die Gefahr, dass er streut, sehr hoch. Die Mammografie sagt, sie kann Tumore ab 0,5 Zentimeter entdecken. Das wären drei Zellteilungen früher, also beim 26sten Zellzyklus. Da ist das Metastasierungsrisiko nicht deutlich geringer.

Sitzt Bremen mit einem groß angelegten Screening-Pilotprojekt einem Irrtum auf?

Das Bremer Pilotprojekt ist durchaus sinnvoll. Die mit dem Screening verbundene Studie wird Aufklärung über die Zahlenverhältnisse in Deutschland bringen. Endlich wird klar werden, was Frauen erwartet, wenn sie zur Mammografie gehen: Wie viele haben Auffälligkeiten? Wie viele kommen zur Biopsie? Wie viele Krebse werden tatsächlich dia-gnostiziert – und in welchen Stadien? Es würde also dem Informationsstand der Medizin dienen – aber die Frauen müssen auch die Nachteile kennen.

Welche Nachteile?

Selbst wenn wir – mit den Optimisten der umstrittenen schwedischen Studie – annehmen wollten, dass das Screening Frauen mit Brustkrebs eine 30-prozentige Chancenverbesserung bringt, gibt es noch viele offene Fragen. Unter anderem die: Wie viele Frauen, die gesund und beschwerdefrei zum Screening gehen, müssen mit Aufforderungen zu Kontrollen rechnen? Da gehen die Meinungen sehr auseinander. Zwar ergeben alle Studien, dass von 10.000 Frauen zwischen 50 und 69 Jahren, die beschwerdefrei zum Screening gehen, ungefähr 1.500 eine Auffälligkeit in der Mammografie erleben. Aber in den Ländern werden dann ganz unterschiedlich viele Frauen operiert; in Schweden und England sind es deutlich weniger als in den USA und Kanada, wo zehn bis zwanzig Mal so vielen Frauen eine Gewebeprobe entnommen wird, als Karzinome haben.

Was ist Ihre Prognose für Deutschland?

Dass mehr Biopsien gemacht werden, eher vergleichbar den USA und Kanada, wo man ängstlicher ist und rascher operiert. Nach derzeitigen Statistiken unseres Hauses hat eine Frau, die mit auffälliger Mammografie – ohne Tastbefund – zur Operation kommt, nur in sieben Prozent der Fälle ein Karzinom.

Aber erfordert die Zunahme von Brustkrebs nicht verstärkte Früherkennung?

Ich bin nicht sicher, dass Brustkrebs zunimmt. Die Brustkrebsmortalität ist in 80 Jahren stabil geblieben. Die tödliche Variation, die wir fürchten, hat nicht zugenommen. Was mit den gründlichen Untersuchungen zunimmt, sind Diagnosen an Brustkrebs, an dem man nicht stirbt. Wahrscheinlich haben 25 bis 30 Prozent aller Frauen Zellveränderungen in der Brust, die ein Pathologe als Brustkrebs bezeichnen würde. Aber nur drei Prozent sterben daran. Das heißt, die übrigen 22 bis 27 Prozent bräuchte ich nicht zu behandeln.

Klingt fast, als wäre die Brustkrebs-Früherkennung per Screening, für die sich viele Frauen europaweit engagiert haben, ein aufgebauschtes Problem?

Auch drei Prozent ist viel. Ich würde mich freuen, wenn es eine überzeugende Methode gäbe, diesen Frauen zu helfen. Aber das Screening ist eine teure Methode, die nicht genügend hilft. Von 1.500 auffälligen Mammografien ergeben 137 tatsächlich einen Karzinom-Befund. Auf 10.000 Untersuchungen bezogen sind das 1,4 Prozent. Wir sollten unsere knappen Ressourcen im Gesundheits-system lieber dorthin liefern, wo wir uns mehr Erfolg versprechen.

Solange sterben Frauen an Brustkrebs, zumal die Früherkennung durch Abtasten wenig wahrgenommen wird.

Die kanadische Studie hat gezeigt, dass das Abtasten die gefährlichen Brustkrebse genauso häufig identifizierte wie das Röntgen. Man muss wissen: Auch wenn man den Zeitpunkt der Diagnose vorverlegt, kann man den Verlauf der Krankheit in mindestens 70 Prozent der Fälle nicht beeinflussen. Die wirklich frauenfreundliche Frage wäre: Wie können wir diese Krankheit verhindern?

Fragen: Eva Rhode