Zukunfts-Speicher, Abteilung 16

■ Der Speicher XI ist nicht nur lang, er bietet auch schön große, kantige Innenräume für seine zukünftigen Nutzer / Probesanierung hat begonnen / Kunsthochschulrektor rechnet fest damit, in die alten „Böden“ einzuziehen

Ein altes Bauwerk, sagt Lothar Quast, ist wie ein Mensch, der ständig krank ist. An seinen Eingeweiden nagen zerstörerische Säfte, die Abwehrkräfte schwinden, und irgendwann ist es nicht mehr zu retten. Der Unterschied zum Menschen ist jedoch, dass es viel teurer ist, ein kollabiertes Gebäude vom Erdboden verschwinden zu lasssen. Erst recht, wenn es sich dabei um den 396 Meter langen Speicher XI handelt, den der 71-jährige Bauleiter Quast jetzt im Auftrag derFirma Hübotter gesund machen soll.

Doch bei der Sanierung, die jetzt probeweise begonnen hat, geht es um mehr: Um Ideen, möglicherweise sogar um „Visionen“, was mit dem Jahrhundertwendebau und seinem Umfeld geschehen soll. Im November hatte sich der Senat für Erhaltung und Nutzung des Speichers entschieden. Grünes Licht für den Bauunternehmer Klaus Hübotter, der sich ein Konzept für den Speicher XI ausgedacht hat.

Die Kernidee: Eine Art Nice-Price-Renovierung für 15 Millionen Mark, die niedrige Mieten und damit eine Vielzahl von Nutzungen auf den sechzig, jeweils 450 Quadratmeter großen „Böden“ des Speichers ermöglichen würden. Mittlerweile gebe es jede Menge Interessenten, so Hübotter-Mitarbeiter Karsten Meyer. Darunter seien etwa 20 Grafik- und Designbüros, Medienleute, die gern in das – oberlichttaugliche – vierte Geschoss einziehen würden. Geschäftsleute hätten sich nach Lagerräumen erkundigt, ein schickes Lampengeschäft würde gern in einen der unteren Böden. Auch an Magazinläden ist gedacht. Stadt und Arbeiterkammer haben dem jungen Architekten zufolge ebenfalls Interesse angemeldet.

Im April, wenn die Großmarktbauarbeiten starten, soll die Sanierung beginnen. Doch vorerst testet Bauleiter Quast mit Hilfe einiger Arbeiter, wie und mit welchem Aufwand die alte Speicherfassade wieder in Stand gesetzt werden kann. Seit Mitte Dezember ist die Abteilung 16 eingerüstet. Bereits jetzt steht für Quast fest: „Der Speicher braucht eine intensive Behandlung!“ Er zeigt auf verrostete Stahlträger, die das umgebende Ziegelmauerwerk haben wegplatzen lassen. Ladebalkone sind tief erodiert, Holzbalken morsch, einzelne Torbögen gerissen. Und dann sind da noch die Fenster.

430 schöne, stabile Sprossenfenster aus altem Eisenguss (gut) oder Nachkriegs-Stahlprofilen (übel), Sicherheitsglas innendrin. Sie werden herausmontiert, per Bohrhammer oder in Handarbeit von Kitt und Glas befreit, verschickt, dann sandgestrahlt, grundiert, lackiert und wieder verglast. Wie genau, bestimmt der Denkmalschützer mit. Der ist auch bei der Auswahl der Ersatz-Ziegel beteiligt, die im Erdgeschoss zur Ansicht gestapelt sind. Farbe und Struktur müssen stimmen, vor allem jedoch die Abmessungen – die Ziegel, aus denen der Speicher XI besteht, haben noch „Reichsformat“, das mit dem heutigen „Normalformat“ nicht kompatibel ist. Das Innere des Speichers mit seinen wuchtigen Ständern, den metallarmierten Türen und schweren hölzernen Deckenbalken wirkt weitgehend intakt. Trotzdem müssen die Böden herausgebrochen werden – in ihnen steckt Asbest, krümelig geworden und nur bei Unterdruck zu entsorgen. Die einzelnen Böden, die WC, Teeküche und Waschraum, Heizung und neue Elektrifizierung bekommen sollen, werden ihr kantiges Profil behalten, wenn es nach Bauleiter Quast geht, der sich im gut erhaltenen zentralen Verbindungstrakt eingerichtet hat.

Ein neues Dach, Fensterdurchbrüche in der Nordfassade, moderne Fahrstühle – all das gehört zu der Basisvariante. Doch es scheint gar nicht so unwahrscheinlich, dass die – laut Hübotter doppelt so teure – Variante 2 Wirklichkeit werden könnte: der Einzug der Hochschule für Künste in weite Teile des Gebäudes. Das würde viel aufwendigere Innenraumplanungen erforderlich machen – den Kunstschaffenden verlangt es unter anderem nach Sälen, die über mehrere Geschosse reichen. Hochschulrektor Jürgen Waller ist sich nach politischen Vorgesprächen sicher, dass der Umzug kommen wird. Er sieht gar einen „Designpark“ am Horizont des Hafenreviers, am besten inklusive ÖPNV-Anschluss. Waller rechnet damit, dass die Wissenschaftsdeputation im Februar die Entscheidung fällt. Auch Hübotter, der noch keinen Vertrag hat, scharrt mit den Hufen: Er will bis März wissen, was Sache ist.

Wenn die Hochschule kommen sollte, würde allerdings eine andere Idee flachfallen: nämlich für den Betrieb der Dependance des Focke-Museums im ebenfalls geplanten Kultur- und Gastronomiebereich bei den übrigen Mietern eine Art Fördergroschen einzutreiben. Eines jedoch steht fest: Der Patient Speicher XI scheint gute Chancen zu haben, wieder reanimiert zu werden. Milko Haase