Nachgefragt
: Keine Leute – kein Geld – kein Bremen

■ Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel über Rechnungen vom Statistischen Landesamt und die mögliche Folgen

Das Statistische Landesamt hat gerechnet. Ergebnis dieser „koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung“: Die BremerInnen werden weniger. Wenn die schlechtere von zwei Modellrechnungen eintritt, hat Bremen im Jahr 2050 weniger als 500.000 EinwohnerInnen, wenn die bessere wahr wird, ein bisschen mehr (die taz berichtete). Rudolf Hickel (SPD), Professor für Wirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft an der Uni Bremen, erklärt, welche Konsequenzen die Szenarien für den Länderfinanzausgleich und die Steuereinnahmen haben

taz: Wir werden weniger. Gehen wir pleite?

Rudolf Hickel: Man muss unterscheiden zwischen Fernwanderung und Umlandwanderung. Sofern der Prozess der Suburbanisierung, also des Wegziehens ins Umland zunimmt, bedeutet das nach der derzeitigen Lohnzerlegung und dem Länderfinanzausgleich für Bremen eine Katastrophe. Denn wir haben bei der Lohn- und Einkommensteuer das Wohnortprinzip: Die Steuer schlägt dort zu Buche, wo jemand wohnt. Wir verlieren da zur Zeit im Jahr etwas mehr als 500 Millionen Mark. Auch im Länderfinanzausgleich führt das zu schweren Einnahmeausfällen.

Warum?

Pro Einwohner, der Bremen ins Umland verlässt, fehlen dem Land 5.800 Mark pro Jahr.

Wenn nun aber die Bevölkerung in der gesamten Bundesrepublik schrumpft, wirkt sich das doch in Sachen Länderfinanzausgleich nicht gravierend auf Bremen aus?

Am Gesamtsystem des Länderfinanzausgleichs würde sich nichts ändern. Weniger Bevölkerung in Deutschland erhöht die bundesdurchschnittliche Finanzkraft, wenn die Finanzeinnahmen konstant bleiben. Zwischen den Flächenländern ändert sich kaum etwas. Aber Bremen muss als Stadtstaat mit deutlichen Einnahmeverlusten im Länderfinanzausgleich rechnen. Die Ursache ist die Einwohnerwertung mit 1,35 bei den Landessteuern. Entscheidend für die jährlichen Zuweisungen ist der Vergleich zwischen der Finanzkraft Bremens mit der Ausgleichsmesszahl. Letztere ergibt sich aus der bundesdurchschnittlichen Finanzkraft multipliziert mit der um 1,35 erhöhten Einwohnerzahl des Landes Bremen. Gehen Einwohner in Bremen durch Geburtenrückgang verloren, dann sinkt die Ausgleichsmesszahl wegen des Faktors 1,35 stärker als in den Flächenländern. Bremen muss ein Interesse am Bevölkerungszuwachs haben.

Wie sind die gesamten Auswirkungen einzuschätzen?

Der Geburtenrückgang belastet uns. Hinzu kommen die Finanzverluste durch die Wanderung ins Umland sowie die Fernwanderung. Insgesamt gilt: Wenn die Bevölkerung weiter abnimmt, erreicht Bremen eine kritische untere Grenze. Damit nimmt die Existenzbedrohung des Stadtstaates zu. Das Hoffmann-Papier vom Frühjahr letzten Jahres über eine Kooperation in der Region, also über die ökonomisch sinnlosen Stadtstaatengrenzen hinaus, bekommt einen völlig neuen positiven Stellenwert. Der Stadtstaat braucht, wie die Umlandgemeinden, die Kooperation.

Fragen: Susanne Gieffers