Kein Fett zu viel

Down and out in Westkehlen: Oliver Bopp verlegt Social-Beat-Literatur auf dem südhessischen Land, weil er klare Worte aus einer kaputten Welt mag

von THOMAS HERGET

Social Beat? Oliver Bopp schaut etwas angeekelt über die morastigen Zuckerrübenfelder und schmunzelt. Vielleicht weil ihm gerade aufgeht, dass die meisten in dieser Gegend noch immer nicht gecheckt haben, was er den lieben langen Tag denn so treibt am Ortsrand. Vielleicht weil er sich gerade fragt, was ihn bewegt haben mag, gerade in diesem Zipfel Südhessens hängen geblieben zu sein, der hier nur Pampa heißt und dessen landschaftlicher Reiz darin besteht, dass er keine Reize hat.

Im Gewerbegebiet West von Wolfskehlen gibt es zwei Supermärkte, einen Großhandel für Tiernahrung und ein paar Ecken, die aussehen, als hätte man dort Bauschutt abgeladen. Das Haus von Oliver Bopp ist ein dreistöckiger unverputzter Kasten. Mitte Januar soll sein Traum in Erfüllung gehen. Dann will er im Parterre seinen eigenen Buchladen eröffnen. Groß und hell und übersichtlich soll der werden. Ganz anders als die Bücher, mit denen sich der Drucker, Verleger, Autor und Literaturveranstalter Bopp im literarischen Untergrund einen Namen gemacht hat. „Der Laden und der Verlag“, sagt Oliver Bopp, „das sind zwei Paar Stiefel.“ Vermutlich tut er gut daran, die literarische Leidensfähigkeit seiner potenziellen Kunden vor Ort nicht zu früh auf die Probe zu stellen.

Die Slam-Szene hat ihn von Beginn an fasziniert. Beat, Punk, Bukowski, Underground – Anfang der Neunziger adaptierten Autoren wie La Loca oder Gerald Locklin das Kunst- und Schlagwort Social Beat für die deutsche Avantgarde. Wie in Los Angeles und San Francisco griff der literarische Nachwuchs nun auch in Hamburg, Stuttgart und Berlin – bis heute Hochburgen der Slam-Bewegung – zum Mikrofon. Um die Zuhörer beim Sprach-Fighting gnädig zu stimmen, reiche es nicht, so Bopp, einfach die Boxen aufzudrehen. Vielmehr gewinne „der, der seinem Text so viel Fett abwringt, dass zwischen den Zeilen nur Muskeln übrig bleiben“. Underground-Poeten wie Jaromir Konecny leuchtet so ein Satz ein, in Oliver Bopps Ariel-Verlag fühlt er sich gut betreut. Ariel, nicht wie das Waschmittel oder die Luftgeister, Ariel, wie der Film von Kaurismäki, „in dem die Helden sich so konsequent anschweigen“, sagt Bopp. Neunzig Minuten, kein Gramm Fett zu viel eben.

Rund 20 lieferbare Titel von zehn Autoren beinhaltet das Ariel-Sortiment. Dazu kommen Anthologien und das Jahrbuch der Charles-Bukowski- Gesellschaft. Was die Werke von Szenegrößen wie Hartmuth Malorny, Roland Adelmann oder Rudolf Proske eint, sind die klaren Worte, die sie aus einer kaputten Welt destillieren. „Die Texte drehen sich um alltägliche Themen, vertreten dennoch den hohen literarischen Anspruch der Beat-Generation, der sich viele Autoren noch immer verpflichtet fühlen“, sagt Bopp. Dass dieser Anspruch zuweilen hochphonisch angemeldet wird, bekamen die Besucher der letzten Frankfurter Buchmesse zu hören. Während ein paar Stände weiter eine 98-jährige Leni Riefenstahl im braunen Pelz sich nicht mehr so genau an die Zeit mit ihrem „Führer“ erinnern wollte, plärrten bei Ariel gestandene Bopptisten zu jeder vollen Stunde unterm Hallendach. Eben ist eine Anthologie über den Slam-Marathon erschienen. Titel: „Was die Mikrofone hergeben.“ Noch heute wundert sich der 32-Jährige, dass die benachbarten Verlegerkollegen aus der New-Age-Branche den verbalen Dauerbeschuss so stoisch hingenommen haben. „Ich dachte, da wird jetzt dauernd einer den Stecker rausziehen.“

Vor vier Jahren machte sich der Riedstädter seinen Beruf als Offsetdrucker zu Nutze und begann, eigene Schriften kostengünstig durch die Rotationsmaschine seines Arbeitgebers zu jagen. „Wenn du nichts mehr zu verlieren hast, fängt das Leben erst richtig an“, zitiert Bopp den Untertitel des Films „Ariel“. Leicht könnte man dahinter eine Phrase vermuten. Denn weder war Bopp früher ganz unten, noch sieht es in seiner Wohnung aus wie bei Bukowski unterm Sofa. Im Gegenteil: Ikea statt leerer Bierdosen, Rauchverbot statt Marlboro. Und seine Bücher? Die stehen, wie die seines literarischen Vorbilds Richard Brautigan, für die Aufhebung von Intellekt und Handwerk. Eines heißt „Der Nylonär“, und im Untertitel „Romanvorlage für ein erotisches Roadmovie“. Genauso gut hätte er es auch „Eine Blaupause für einen Traum, an den ich gezwungen bin zu glauben“ nennen können, denn Oliver Bopp ist in sich zu sehr daheim, um sich in der Fremde wirklich überraschen zu lassen. Stets findet man zwischen den Zeilen diese matte Illusion, die man zum Überleben wohl braucht, wenn man sich im Grunde seines Herzens dazu entschlossen hat, bis ans Ende seiner Tage auf morastige Rübenfelder zu blicken und bei guter Sicht auf die Schlote der Müllverbrennungsanlage zwei Ortschaften weiter.

Eine Geschichte erzählt Oliver Bopp wirklich gerne. Es ist die, die ihn zum Schreiber machte. Die Geschichte von seiner Mutter, die einst Gardinen für ein Hotel nähte, um die Familienkasse ein wenig aufzubessern. Als der Hotelbesitzer nicht zahlen wollte, bat die Frau den Filius ihr eine Mahnung aufzusetzen. Das Hotel zahlte umgehend – und der Jungliterat in spe spürte früh, „dass ich durch Schreiben wirklich was verändern kann“. Dabei ist es bis heute geblieben, auch wenn sein Faible für Umgangssprachliches und Bukowski ihn nicht vor privaten Niederlagen verschonte. Aus dem Effeff betet der passionierte USA-Reisende zwar sämtliche Kneipen und Buchläden herunter, in die Old Buk je einen Fuß gesetzt hatte, daheim aber musste neulich die teure Bukowski-Büste vom Frühstückstisch verschwinden – Freundin Claudia wollte es so. Seitdem empfängt die dichtende Kartoffelnase den Besucher im Flur. Ungerecht, findet Bopp. War es doch der saufende Poet, der die beiden in einer Buchhandlung zusammen brachte. Im Streit. Über das Werk Bukowskis.