Mosern fürs Reich

Es brauchte Zeit und Mut, bis die Schauspielerin Brigitte Mira bekannte, in einer propagandistischen Kurzfilmreihe der Nazis mitgewirkt zu haben. In „Liese und Miese“ musste sie tun, was sonst verboten war: defätistisch stänkern

von REINHARD KRAUSE

Immerhin, sie hätte ja auch schweigen können. Nie wäre herausgekommen, dass Brigitte Mira doch nicht ganz unbelastet die Zeit des Nationalsozialismus überstanden hatte. Aber als die Schauspielerin 1988 ihre Memoiren veröffentlichte, schrieb sich die heute Neunzigjährige auf zweieinhalb Buchseiten auch ihren Fehltritt von der Seele: Ja, ihr Filmdebüt hatte sie bereits 1943, als Darstellerin in einer propagandistischen Kurzfilmreihe mit dem Titel „Liese und Miese“. Und der Drehbuchautor, schrieb sie, war der spätere Berliner Theaterkritiker Friedrich Luft (1911 bis 1990).

Wer sich auf die Spurensuche begibt – was bislang unterblieb –, wird zunächst enttäuscht sein: Eine einzige Episode sowie ein Tonnegativ, aufbewahrt beim Bundesarchiv-Filmarchiv, sind die letzten Überbleibsel von „Liese und Miese“. Kein Vorspann ist erhalten, der auf Brigitte Mira und Gerhild Weber als Darstellerinnen, auf Eugen York als Regisseur und Friedrich Luft als Drehbuchautor der Filmreihe hinwiese. Vier Minuten und sieben Sekunden „Liese und Miese“ – eine filmische Petitesse. Und doch: Hinter Miras und Lufts Sündenfall verbirgt sich ein spannendes Kapitel deutscher Filmgeschichte und zugleich ein Musterbeispiel für die Dialektik von Propaganda und Aufklärung.

Bereits am 28. März 1933, zwei Wochen nach seiner Ernennung zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, hatte Joseph Goebbels in einer Rede vor Filmschaffenden die Parole ausgegeben, keineswegs solle die Filmindustrie fortan nur noch „von früh bis spät in Gesinnung machen“. Zu viel Alltag oder gar Realismus ließ der oberste Filmherr des Dritten Reichs nicht zu. Unterschwellige Botschaften, hatte er erkannt, waren im Unterhaltungsfilm wirksamer unterzubringen als im so genannten „Tendenzfilm“.

Nicht einmal der sonst obligatorische „deutsche Gruß“ kommt im NS-Unterhaltungsfilm vor. Die berüchtigsten Propagandafilme der Nazis wie „Jud Süß“ oder „Kolberg“ verstecken sich im Gewand des Historienfilms. Einschüchterung und Verdunkelung, Bombennächte und Versorgungsengpässe, all das sollte der Deutsche im Kino hinter sich lassen. Aus der propagandistischen „Volksaufklärung“ während des Zweiten Weltkriegs allerdings ließ sich der Alltag im NS-Staat schlechterdings nicht heraushalten.

Liese und Miese“ war das weibliche Gegenstück zu einer älteren Filmreihe, die in den Jahren 1939 und 1940 unter dem Titel „Tran und Helle“ in den Kinos lief. Eingebettet ins Programm der „Wochenschau“, sollten die unterhaltenden Episoden um ein glatzköpfiges Kölner Original („Tran“) und seinen besten Freund, eine Art nationalsozialistischer Mustermann („Helle“), Verhaltensregeln für den Kriegsalltag vermitteln und die Zuschauer auf die „Volksgemeinschaft“ einschwören. Die Themen der 47 erhaltenen Episoden reichen vom Hamstern bis zum korrekten Verhalten im Luftschutzkeller. Die wöchentlichen und kurzfristig produzierten Folgen fanden beim Minister wie – so zumindest belegen es die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS – beim Publikum großen Anklang. Sie wurden aber im September 1940 abgesetzt, als die Kriegsberichterstattung in der Wochenschau immer breiteren Raum einnahm.

Mit „Liese und Miese“ sollte das alte Konzept drei Jahre später wieder aufgegriffen werden. Und Brigitte Mira, damals im Berliner „Kabarett der Komiker“ engagiert, sollte die „Miese“ geben – „die Person“, so Mira, „die im nationalsozialistischen Sinne alles falsch macht“. Eine nicht eben schmeichelhafte Rolle, wie sie fand: „Die Miese sollte natürlich negativ wirken, hässlich aussehen, ungepflegt herumlaufen, eine richtige Schreckschraube wurde da gesucht.“ Trotzdem sagte sie schließlich zu, die Rolle zu spielen – nicht zuletzt, um nicht durch eine Absage Nachforschungen auszulösen. Immerhin lebten sie und ihr jüdischer Vater mit gefälschten Papieren in Berlin.

Dreh- und Angelpunkt sowohl bei „Liese und Miese“ als auch bei „Tran und Helle“ war die Gegenüberstellung von – meist als naiv dargestelltem – Fehlverhalten und propagandistischer Belehrung: Tran hört ausländische Sender, Helle warnt ihn vor Zuchthaus und feindlicher Beeinflussung; Miese verbreitet hanebüchene Gerüchte über die Ernährungssituation, Liese lacht sie aus (siehe Textdokumentation unten). All dies ließ sich nicht darstellen, ohne das sonst streng Verbotene vorzuführen.

Nicht genug, dass Ludwig Schmitz (Mitglied der NSDAP und der SS) auf der Kinoleinwand in der Rolle des Tran sich sträubte, für das Winterhilfswerk zu spenden, den Einmarsch in Belgien und den Niederlanden bejammerte („Es war doch so schön friedlisch!“) oder dass Brigitte Mira als Miese gegen „die da oben“ moserte – Kindskopf Tran hatte bei der Schlusspointe mehr als einmal die Lacher auf seiner Seite. Etwa wenn er Helle schlitzohrig fragt, ob er nicht eine Ermäßigung seiner Rundfunkgebühren beantragen könne – „Weil isch doch jetz kein’ ausländische Sender mehr hören darf.“ Goebbels und seinen Propagandisten war klar, dass fortgesetztes Besserwissertum (Helle: „Ich weiß zwar nicht, wie du London bekommst, aber was du bekommst, wenn du London bekommst, das weiß ich genau: Kittchen. Sogar Zuchthaus!“) kontraproduktiv wirken konnte.

Heute wirken die Kabbeleien zwischen den Freunden Tran und Helle und Mieses Leichtsinn gegenüber ihrer dynamischen Nachbarin Liese irritierend offenherzig. Eine latente Gefährdung ist in beiden Serien zwar spürbar, letztendlich aber sind Tran und Miese als Figuren so unbedarft gezeichnet, dass sie schwerlich Musterbilder des Widerstands abgeben konnten. Ihre „Delikte“ sind mehr Narretei denn politische Akte. In Goebbels’ Tagebüchern gibt es Hinweise, dass gerade die humoristische Renitenz des Tran bewusst eingesetzt wurde, um Unzufriedenheit in der Bevölkerung die Spitze zu nehmen.

War „Liese und Miese“ nun ein Kabinettstück versteckter Kritik – oder doch nur ein Beispiel für Propaganda, die besonders raffiniert sein will? 1995 äußerte sich Brigitte Mira beiläufig in einem Tagesspiegel-Interview: „Die Rolle in ‚Liese und Miese‘ hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich war noch sehr jung damals und durfte alles sagen, was kein anderer Mensch sagen durfte.“ Und tatsächlich könnte man ihren hingehuschten Hitlergruß aus der erhaltenen Episode für kecke Parodie halten. „Allerdings“, schreibt sie in ihren Memoiren, „kamen York, Luft und ich nicht lange in den Genuss, uns in diesem Freiraum des Filmwesens zu bewegen, denn als Goebbels die ersten Kurzfilme sah und von den Reaktionen des Publikums hörte, das ausgerechnet die Miese sofort ins Herz geschlossen hatte, wurde die Serie unverzüglich abgesetzt.“

Von der Subversivität des Produkts „Liese und Miese“ scheint aber auch Mira nicht restlos überzeugt zu sein. Denn die Passage über ihr Filmdebüt leitet sie mit den Worten ein: „... es gibt auch in meinem Leben Momente, Taten und Entscheidungen, die ich im nachhinein gern geändert hätte. Aber ... das Leben ist kein Film, den man später im Schneideraum neu montieren, verbessern und damit retten kann.“

Friedrich Luft entschied sich fürs Weglassen. Zwar ließ sich schlechterdings nicht leugnen, dass er seit 1942 für die dem Propagandaministerium unterstellte Heeresfilmstelle in Berlin Drehbücher geschrieben hatte, etwa für Kurzfilme über den korrekten Gebrauch der Gasmaske oder über Geschlechtskrankheiten.

Aber das waren seiner Einschätzung nach „alles Filme, Gott sei Dank, die keine Propagandafilme sein mussten. Ich war nie gezwungen, die Hand zu einem falschen Schwur zu erheben.“ Über „Liese und Miese“ ist von ihm kein Wort überliefert. Auch nicht nach Erscheinen der Mira-Memoiren. Es gab wohl keinen Grund, stolz auf diese Arbeit zu sein.

REINHARD KRAUSE, 39, ist taz.mag-RedakteurLiteratur: Brigitte Mira, Kleine Frau – was nun? Ullstein, Berlin 1998, 256 Seiten, 14,90 Mark. Petra Kohse, Gleiche Stelle, gleiche Welle. Friedrich Luft und seine Zeit. Aufbau, Berlin 1998, 336 Seiten, 49,90 Mark. Felix Moeller, Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Henschel, Berlin 1998, 479 Seiten, 58 Mark