Die Rente ist durch – beinahe

Gegen die Stimmen von Union und FDP verabschiedete die rot-grüne Koalition gestern die Rentenreform. Revolutionäres Kernstück: Der Einstieg in die private Altersvorsorge. Angela Merkel „bedauert“ Plakatmotiv, das Schröder als Verbrecher zeigt

von SEVERIN WEILAND

Vor der Abstimmung im Bundestag kam eine Distanzierung. Angela Merkel, Parteichefin der CDU, sah sich gezwungen, den Eindruck, den ihre Partei mit dem mittlerweile zurückgezogenen Rentenplakat erweckt hatte, zu korrigieren. Man habe niemanden kriminalisieren wollen, in der Wirkung sei dies dennoch passiert: „Dass es so verstanden werden konnte, bedauere ich.“ Damit gab sich die Regierungskoalition nicht zufrieden. Die grüne Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller erklärte, die CDU sei so lange nicht gesprächsfähig, wie sich Merkel nicht persönlich beim Kanzler entschuldigt habe.

Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) warf Merkel vor, fehlende Argumente durch Diffamierungen ersetzt zu haben. Gegen die Kritik von Union und FDP verteidigte er die Reform „als größte Sozialreform der Nachkriegszeit“. Wer sich an der privaten Vorsorge beteilige, werde im Alter besser dastehen als heute. Neben dem Einstieg in die private Vorsorge nannte Riester als weitere Erfolge die Höherbewertung von Erziehungszeiten für Eltern sowie die Vermeidung von Altersarmut. Riester verwies darauf, dass die Lohnnebenkosten stabil gehalten würden. Im Verlaufe der nächsten 20 Jahre werde der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent steigen. „Daran können Sie uns erinnern und daran können sie uns messen“, rief er der Opposition zu.

Merkel stellte das von Rot-Grün angesetzte Rentenniveau von 67 Prozent in Frage. Spätestens mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur nachgelagerten Besteuerung werde sich zeigen, dass die Rente niedriger ausfallen werde. PDS-Fraktionschef Roland Claus kritisierte, dass mit dem Einstieg in die private Altersvorsorge der Ausstieg aus der gesetzlichen Rente beginne. Die Botschaft laute: ob 64 oder 67 Prozent Rentenniveau, es gehe „nach unten“.

Die grüne Rentenexpertin Katrin Göring-Eckardt verteidigte die Zustimmung ihrer Partei zum Konzept trotz mancher offen gebliebener Wünsche wie die Einbeziehung der Beamten in die Rentenzahlungen. Die FDP-Expertin Irmgard Schwaetzer nannte das Reformwerk „Murks“, weil die kapitalgedeckte Altersvorsorge zu kompliziert sei.

Die Rentenreform, die gestern Mittag mit 316 von 576 Abgeordnetenstimmen verabschiedet wurde (bei 4 Enthaltungen und 256 Gegenstimmen), bedarf in Teilen der Zustimmung des Bundesrates. Dazu zählt das Gesetz zur privaten Altersvorsorge und die Mindestsicherung im Alter. Union und FDP kündigten gestern an, am 16. Februar den Vermittlungsausschuss anzurufen. Bis zur Sitzung am 9. März muss ein Kompromiss gefunden sein.

Parallel zum Rentenreformgesetz verabschiedete der Bundestag gestern auch einen rot-grünen Entschließungsantrag, mit dem die Regierung aufgefordert wird, das Rentenniveau auf 67 Prozent festzuschreiben. Aus diesem Grund wird eine Sicherungsklausel im Gesetzestext geändert. Welche Auswirkungen eine mögliche Verpflichtung durch das Verfassungsgericht, die Renten erst bei der Auszahlung zu besteuern, auf das durchschnittliche Rentenniveau von 67 beziehungsweise 70 Prozent haben wird, ist noch unklar. Da der Beitragssatz laut dem neuen Gesetz nicht über 22 Prozent steigen darf, müsste entweder die Lebensarbeitszeit verlängert oder der Bundeszuschuss zur Rente erhöht werden, hieß es in Berlin. Das Karlsruher Urteil wird für Mitte des Jahres erwartet.