Brotlaibe der Täuschung

Verachtung, Hass und Einsamkeit: Jenny Erpenbecks „Katzen haben sieben Leben“ unter der Regie von Marianne Wendt als deutsche Erstaufführung im Werkraum des DT

Es hat geschneit. Ein Engel fliegt vorbei und leidet. Die Damen auf der Bühne tragen Pelz. Am Rande bemerkt man eine rote Mohnblume und staunt. Ein Sommerrequisit. Da hat sich ein Sommerrequisit in einer grünen Vase auf die weiße Bühne verloren. Wie wird man es zum Einsatz bringen, in diesem großen Winter?

„Katzen haben sieben Leben“ heißt das Zweipersonenstück Jenny Erpenbecks, das am Montagabend im Werkraum des Deutschen Theaters unter der Regie Marianne Wendts zur deutschen Erstaufführung kam (die Uraufführung hatte Erpenbeck in Graz selbst inszeniert). Zwei Frauen, A und B (Margit Bendokat und Katrin Klein) schütteln sich den Schnee vom Pelz, legen Muff, Mütze, Mantel ab und leiden los. Sie werden an diesem Abend auf winterlicher Bühne in den unterschiedlichsten Konstellationen aneinander scheitern, einander hassen, belügen, lieben und verlassen, sie werden erkalten bis zur Todesstarre. Sie sind Chefin und Dienerin, Geliebte und Nebenbuhlerin, Mutter und Tochter, Liebende, Verlassende – Konkurrentinnen immer, stets darauf bedacht, die Gegenspielerin zu unterdrücken, auszuspielen, herunterzuspielen, wegzuzspielen. Das Schlechteste ist für die andere gerade schlecht genug.

Sie probieren Lebensentwürfe, Zweierkonstellationen bis zur Verzweiflung. Vielleicht ist ein Leben zu zweit doch möglich, irgendwie? Vielleicht ist sie zu überwinden, die Eigensucht, die Missgunst und die Angst. Aber die Einsamkeit bleibt. Sie wächst und wächst und tötet fort und fort. Und auch das rote Sommerrequisit wird arg zerrupft, nur um zu beweisen, dass die Lebensgegnerin einer Blume, eines Gartens, eines Sommers niemals würdig sein wird.

Jenny Erpenbeck, die in ihrer Erzählung „Geschichte vom alten Kind“ von einer Frau erzählte, die sich nach der untersten Stufe der Gesellschaft sehnt als einem Ort, den endlich niemand ihr neiden wird, hat in ihrem ersten Theaterstück den privaten Alltagskonkurrenzkampf dramatisiert. „Einige Passagen habe ich aus Rache geschrieben“, hat sie kürzlich in einer Diskussionsveranstaltung gesagt.

Und liefert die wunderbarsten Rache-, Missgunst- und Spottdialoge. Und als die Verkäuferin, die gerne Schauspielerin wäre, zur Probe ihr Innerstes nach außen wenden soll, findet sich dort nur ein kleines Plastikherz, ein Fisch und – nein, eine Seele findet sich beim besten Willen nicht.

Erpenbecks poetischer, ruhiger, kalter Text wird von Margit Bendokat und Katrin Klein ein wenig zu laut gespielt. Ein wenig zu schrill, zu grell, zu lustvoll verzweifelt. Der Werkraum im deutschen Theater ist klein und schmal. Die überbetonte Dramatik ihres Spiels der beiden überfordert den Bühnenraum. „Wenig reden,“ heißt es an einer Stelle des Stücks, „und das wenige so austeilen wie eine Hostie der Täuschung.“ Doch die beiden Bühnenfeindinnen werfen mit diesen Täuschungshostien nur so um sich und der Zuschauer duckt sich, weil er befürchten muss, von ganzen Brotlaiben der Täuschung des Misstrauens und der Missgunst getroffen zu werden, die auf der Bühne hin- und hergeworfen werden. Und man kriegt Lust, zurückzuwerfen.

VOLKER WEIDERMANN

Nächste Vorstellungen: 3. und 22. Februar sowie 25. und 29. März, jeweils um 19.30 Uhr im Werkraum des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13 a