Kabinett beschließt Massentötung

Etwa 400.000 deutsche Rinder sollen verbrannt werden. Der Bauernverband weist Forderung nach Zuchtbeschränkung zurück. EU-Mittel reichen nur, wenn sich Markt wieder stabilisiert. Kommissarin Schreyer schließt weitere Subventionen aus

von RALF GEISSLER
und DANIELA WEINGÄRTNER

Das Wort „Massentötung“ nimmt der Sprecher im Landwirtschaftsministerium nicht in den Mund. Im Sinne der Tierhaltung werde „Luft in den Ställen geschaffen.“ Deshalb wird die Bundesregierung bis Juni voraussichtlich 400.000 Rinder von Bauern aufkaufen und vernichten lassen. Das entspräche etwa zehn Prozent der jährlich geschlachteten Menge. Mit dem gestern gefallenen Kabinettsbeschluss beteiligt sich Deutschland nun doch an an der umstrittenen EU-Aktion, um den zusammengebrochenen Rindfleischmarkt zu entlasten.

Jedes deutsche getötete Tier wird vor seiner Vernichtung auf BSE getestet. Der Deutsche Tierschutzbund kristisiert die Verbrennung der voraussichtlich mehrheitlich gesunden Tiere. „Es ist schlimm, dass deren Vernichtung subventioniert wird“, sagte Verbandspräsident Wolfgang Apel. Er griff auch den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, an, da dieser bislang eine Zuchtbeschränkung trotz sinkender Nachfrage abgelehnt habe. „Die Höfe füllen sich weiter und Sonnleitner verlangt immer nur Subventionen“, sagte Apel.

Der Bauernverband wies die Forderung nach Zuchtbeschränkung als „völligen Quatsch“ zurück. „Wenn Sie Milcherzeugnisse wollen, müssen die Kühe kalben“, sagte Verbandssprecher Michael Lohse der taz. Sonnleitner zeigte sich erleichtert über die Entscheidung zur Massentötung. „Es wurde ein dringend notwendiges Signal gesetzt, dem extremen Preis- und Marktverfall einen Riegel vorzuschieben.“

Die Kosten der Massentötung beziffert das Landwirtschaftsministerium auf 362 Millionen Mark. Den größeren Teil trägt die Europäische Union. Den Betrag kann EU-Kommissarin Schreyer gerade noch aus der Portokasse bezahlen. Bislang hielt sich die grüne Budgetkommissarin strikt an die von den Finanzministern vorgegebene Spardisziplin. Nun werden Haushaltsüberschüsse aus dem vergangen Jahr verwurstet und verbrannt. 971 Millionen Euro werden zunächst bereitgestellt.

Sie reichen, um die Bauern für 530.000 Tonnen vernichtetes Schlachtfleisch zu entschädigen – die EU steuert 70 Prozent des Aufkaufpreises bei und gibt dafür 700 Millionen Euro aus. Für 238 Millionen wird zusätzlich Rindfleisch gekauft und eingelagert, um den Preis zu stabilisieren. Mit 33 Millionen beteiligt sich die EU an den BSE-Tests der Mitgliedsstaaten. Das Geld reicht nur, wenn sich der Markt in den kommenden Monaten erholt.

Daran glaubt aber niemand. Sollte den Verbrauchern der Appetit auf Rindfleisch dauerhaft vergangen sein, muss Geld aus anderen Agrarbereichen umgeschichtet werden. Fällt der Preis in einem Mitgliedsstaat unter 60 Prozent des EU-Interventionspreises, muss Brüssel Fleisch aufkaufen. Aus ihrem eigenen Subventionswahnsinn kommt die EU nur heraus, wenn sie das System völlig neu ordnet. Das ist frühestens 2006 möglich, wenn die finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 verhandelt wird.

Eine Änderung der derzeitigen Finanzplanung auf dem Gipfel von Stockholm schließt Schreyer kategorisch aus. Der Agrarhaushalt sei jetzt schon 7,4 Prozent höher als im vergangenen Jahr. Für andere Politikbereiche bleibe kaum Spielraum. Deshalb werde auch das Parlament eine solche Revision nicht mittragen. Das bestätigt die grüne Haushaltsexpertin und Europaabgeordnete Heide Rühle: Das Parlament sei nicht bereit, für noch mehr Subventionsirrsinn die Sparbeschlüsse zu kippen.

Angesichts der dramatischen Lage auf dem Rindfleischmarkt plädierte Schreyer für ein Umsteuern in der Rinderzucht. Sie schloss die Wiedereinführung der umstrittenen, nach dem jüdischen König benannten Herodes-Prämie nicht aus. Die Prämie finanziert die Tötung von Kälbchen kurz nach der Geburt.