: Dumm, dick und hässlich
■ Die Vorschau: Mit „Running Out of Time“ von Johnny To beginnt heute das Kino 46 eine Reihe mit Filmen aus Hongkong
Totgesagte leben länger: Dem Kino in Hongkong schien das letzte Stündchen geschlagen zu haben. Ökonomisch ging es dort nicht nur mit dem Filmgeschäft den Bach hinunter, und die gefeierten Regiestars der 90er Jahre wie John Woo und Tsui Hark emigrierten nach Hollywood und wurden dort, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, vom Mainstream aufgesogen. Doch jetzt ist ausgerechnet dem gebürtigen Taiwanese Ang Lee mit US-amerikanischem Geld mit „Tiger & Dragon“ einer der ulitimativen Schwertkämpferfilme à la Hongkong gelungen, und im Forumprogramm der letztjährigen Berlinale wurde mit Johnnie To Kei Fung ein neues Regietalent aus Hongkong gefeiert. Gleich drei Filme inszenierte er im Jahr 1999, das erinnert an die hektischen, besten Zeiten des jungen Tsui Hark.
Mit „Running out of Time“, einem dieser drei Filme, beginnt eine Filmreihe, die das Kino 46 im Rahmen der vielen Feierlichkeiten und Veranstaltungen zum 100sten Geburtstag des ostasiatischen Vereins zusammengestellt hat. Johnnie To hat mit diesem Film reines Actionkino produziert: Bewegung und Tempo sind hier alles, und die barocken Ausschmückungen im Stil von Tsui oder Woo wurden von ihm radikal weggeschnitten. Zwei Männer: einer Verbrecher, einer Polizist, beide Superhelden, beide letzlich die Guten, während die Bösen alle dumm, dick und hässlich sind. Der Verbrecher ist totkrank, will aber unbedingt noch seinen letzten Supercoup landen, um sich damit bei den wirklich bösen Gangstern zu rächen. Der Polizist geht auf ein kompliziertes Spiel mit verwickelten Strategien und Gegenzügen ein, und am Schluss sitzen die beiden wie ein Liebespaar im (natürlich durch das nächtliche Hongkong rasende) Auto. Frauen gibt es kaum, und viel mehr braucht man zum Inhalt auch gar nicht zu erzählen.
Der Film funktioniert durch sein Tempo, die überraschenden Variationen der Genrekonventionen, die Dreistigkeit, mit der To seine Zeichen überdeutlich setzt. Wenn der (sonst ganz fidele) Totkranke Blut spuckt, dann ist gleich die ganze Frontscheibe des Autos rot, und der riesige geklaute Diamant wird schließlich als Modeschmuck von einer jungen Frau im Bus getragen. Angst vor Kitsch oder auch nur eine Ahnung davon, dass man Gefühle auch zu dick auftragen kann, scheinen mit Johnny To die meisten Regisseure in Hongkong nicht zu haben. „In Hollywood können sie besser Emotionen inszenieren, aber bei den Actionszenen sind sie dort immer noch lahme Enten“, sagte Ang Lee vor kurzem im Zusammenhang mit seinem neuen Film, und „Running out of Time“ ist dafür ein Paradebeispiel.
Ang Lees „Tiger & Dragon“ hat übrigens mindestens einen Vorläufer, der wohl nur deshalb nicht dessen internationalen Erfolg hatte, weil die Zeit für ihn noch nicht reif war. Die Regisseurin Ang Hui drehte 1987 mit „Die Romanze von Buch und Schwert“ ein ganz ähnlich grandioses Epos mit großartigen Bildern, schwerelosen Schwertkämpfen und lyrischen Stimmungen. „Den schönsten Film der Berlinale, ein Kurosawa mit Flügeln“ jubelte damals immerhin ein schweizer Kritiker, aber sonst hat kaum jemand hingeguckt. Das kann zum Glück in dieser Woche im Kino 46 nachgeholt werden.
Später im Monat werden dort noch vier weitere Filme aus Hongkong zu sehen sein: Wong Kar Wais Neon-Gangster-Ballade „Fallen Angels“ bräuchte eigentlich nicht noch einmal vorgestellt zu werden, ist aber immer wieder schön anzusehen, und „Der König der Masken“ von Wu Tianming wird ein wenig als Mogelpackung gehandelt, denn obwohl er von einem Straßenkünstler handelt, der sich bei einem Kinderhändler einen kleinen Nachfolger kauft, gehört dieser Film nicht unbedingt in die Nachmittagsvorstellungen des Kinderkinos.
Zwei weitere sehr empfehlenswerte Erstaufführungen folgen noch später im Monat: „Autumn Moon“ von Clara Law erzählt vom Untergang der britischen Kronkolonie Hongkong anhand einer Familie, die nach Kanada ausgewandert ist. Nur noch ein 15-Jähriger und seine alte Oma bleiben zurück in dieser filmisch gelungenen Elegie. Nicht von Abreisenden, sondern von Ankommenden erzählt dagegen die Romanze „Hongkong Love Affair“ von Peter Chan: Ein junger Mann kommt da aus dem ländlichen China nach Hongkong, trifft auf eine Frau, die ihn zuerst als Landei verspottet und ausnutzt, aber dann doch dabei hilft, sich zu aklimatisieren. Sie wissen schon, wie es weiter geht, aber schön inszeniert und gespielt ist es. Und ein Film, in dem die wunderschöne Meggie Cheung mitspielt, kann gar nicht schlecht sein. hip
„Running Out of Time“ läuft heute und Sa. um 22.30 Uhr, Mo. um 20.30 Uhr. „Die Romanze von Buch und Schwert“ ist am So. u. Di. um 20.30 Uhr im Kino 46 zu sehen. Die Termine der anderen Filme finden sich in der Kinotaz. Alle Filme laufen in OF mit Untertiteln.
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