Mit Spaß am Spiel

Nicht volljährig, aber voll mündig: Die Sugababes wollen keine typische Girlgroup sein. Deswegen feilen sie lieber an Songs als an Tanzschritten

von GEORG HERMENS

16 hin oder her. Anfänger schön und gut. Aber aus diesem, wie sie sagt, „total durchgeknallten“ Instrumentaltrack, der später „Overload“ wurde, also aus diesem ungewöhnlichen Entwurf einen Sugababes-Song zu machen, das konnte sich Siobhan nun wirklich nicht vorstellen, wie sie beim Interview in Köln unbekümmert erzählt. Das Pressetreffen dient der Präsentation des Trios in Deutschland, wo „Overload“ gerade in den Top Ten steht. Doch ihr Producer Cameron McVey beharrte damals auf seiner Einschätzung. Vielleicht, weil er schon für seine Ehefrau Neneh Cherry, die All Saints und Massive Attack so manchen Klassiker geschrieben und produziert hat.

Und er behielt Recht. Denn letztendlich war die Single „Overload“ die Initialzündung zu dem, was jetzt mit dem Debütalbum „One touch“ aufs Schönste fortgesetzt wird: Auf zwölf Tracks mischen die Sugababes mit ihren Produzententeams britischen Pop, frische 2Step-Beats und modernen R&B und starten damit erfolgreich ihre Mission. Die da lautet: eine ureigene britische Form von Modern Soul und R&B zu kreieren, wie es in den 80ern schon einmal gelang.

Es ist das jüngste Kapitel einer Geschichte, die bei allem Massenerfolg auch die Kritiker – gerade, aber nicht nur die männlichen – in kollektive Verzückung gestürzt hat. Was man am besten versteht, wenn man Siobham Donaghy (16), Mutya Buena (15) und Keisha Buchanan (16) bei einer ihrer Performances von „Overload“ erlebt hat. Da sitzen die drei auf Barhockern, singen ihren Song und machen eine einzige Bewegung, die dabei diesen Namen kaum verdient: sie drehen den Kopf synchron mal in die eine, mal in die andere Richtung. Bis dann das Surfgitarrensolo kommt: dann hüpfen die Sugababes von ihren Hockern – oder besser, sie gleiten sanft hinab und bewegen, die Hände in die Hüften gestemmt, mit unübertroffenem Understatement ihre Schultern. Drei Freundinnen, die cool sind und die signalisieren: Wir wissen, was wir tun. Wir wissen, warum wir es tun! Wir kennen die Regeln des Spiels namens Pop, und wir können sie befolgen oder ihnen, aus strategischen Gründen, auch zuwiderhandeln. Dabei bleiben sie aber immer drei Teenager, die diese Performance genauso gut auch ganz ohne Publikum im Partykeller hinlegen könnten – einfach aus Spaß an einem guten Song, aus Spaß an ihren exzellenten Stimmen und der Musik.

Man kann sich vorstellen, wie die drei noch vor drei Jahren nach der Schule stundenlang zusammengehangen und jeden guten R&B- oder HipHop-Track mitgesungen haben, der an ihr Ohr kam – von Whitney Houston über die Fugees bis zu Destiny’s Child. Da waren sie 13, und die Grundschulfreundinnen Keisha und Mutya hatten kurz zuvor auf einer UK-Garage-Party Siobhan (sprich Schyvonn) kennen gelernt. Die Siobhan, über die der Schwager eines Freundes zu ihrem Manager wurde: Ron Tom, damals Manager der All Saints.

Hört sich an wie eine der vielen Geschichten aus dem Lande Pop, die von Plattenfirmen gerne so schön hingelogen werden. Zum Glück aber hat sich die böse Unterhaltungs- und Bewusstseinsindustrie im Falle der Sugababes eher wie ein fürsorglicher Sozialarbeiter aus dem Jugendzentrum verhalten. Was sicher ein Verdienst von Ron Tom war und von Tracy Bennett: Ron Tom ließ die Sugababes erst mal im Studio mit diversen Produzenten herumexperimentieren. Und Bennet von London Records, auf dessen Erfolgskonto schon solche Bands wie die Fine Young Cannibals, Bananarama und die All Saints gehen, nahm die Band ein halbes Jahr später unter Vertrag. Dann dauerte es noch mal zweieinhalb Jahre, ehe „Overload“ die erste Single, veröffentlicht wurde. Was Siobhan, die für ihre 16 Jahre eine ziemliche Vernunft und Abgeklärtheit an den Tag legt, heute noch als eine zwingende Notwendigkeit ansieht: „Das Warten war hart, aber wir brauchten es letztendlich. Wir mussten lange im Studio arbeiten, um unseren Sound zu entwickeln.“ Sie wollten eben auf überhaupt keinen Fall als unmündige Girlgroup auf die Bühne geschubst werden – Kategorie Industriemarionette vom Schlage Britney Spears et al. Also wurden zahlreiche Produzententeams daraufhin getestet, wie gut sie mit den Sugababes harmonieren. Und später hat man den drei auch noch Keyboards mitgegeben, damit sie ihre Songs selbst mit komponieren.

Natürlich ist diese Mündigkeit auch Teil des Konzepts Sugababes. Ein Konzept, bei dem wichtiger ist, was Siobhan, Keisha und Mutya nicht sind und tun: Sie sind keine Girlgroup, sie tanzen nicht, sie sehen nicht wie Models aus, sie heben nicht ab, sie machen nicht einen auf Pop-Lolitas usw., usf. Die Ansage des Konzepts lautet: Die Sugababes sind „echt“, „authentisch“ . . ., und sie sind britisch. Oder, wie der NME, Zentralorgan für Gitarren- und Jungsbands, jovial wissen ließ: „The kids are alright!!“

Alright, weil, bei allem Wissen um die (ab einer gewissen industriellen Größenordnung unabdingbare) Maschinerie hinter den Sugababes Dreierlei zum Vorschein tritt: 1. eine Ernsthaftigkeit und Liebe zur Musik und gleichzeitig zur Wahrhaftigkeit, die fast schon rührend wirken, 2. eine Dreamteam-Kombination aus den Sugababes und Cameron McVey und 3. eine ebenso verantwortungsvolle wie gewiefte Kommandozentrale, die die Bedürfnisse der drei einerseits und die der Medien andererseits perfekt in Einklang bringt.

Mutya träumt davon, in zehn Jahren bei einem der Diva-Konzerte mit Größen wie Whitney, En Vogue etc. auf der Bühne zu stehen. Und Siobhan reagiert ziemlich empört, als sie gefragt wird, ob sie keine Angst hätten, dereinst als One-Hit-Wonder in den Musikenzyklopädien zu landen: „Wir haben 50 Songs in Demoform fertig.“ Überhaupt hält sie die kommende Single „Run for cover“ für stärker als „Overload“. Alle drei hätten den Kopf geschüttelt angesichts der Entscheidung, „Overload“ als ersten Song herauszubringen . . .