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Die Angst am Gepäckband

Wo bleibt bloß meiner? Reisende, fand ein Lufthansa-Psychologe studienhalber schon vor Jahren heraus, haben ein besonders inniges Verhältnis zu ihrem Koffer

Samtweich ist der Flieger gelandet. Ich habe wieder Boden unter den Füßen, laufe durch den Andockschlauch ins Terminal und treibe im Strom der Mitpassagiere durch die Korridore und Hallen zur Gepäckausgabe. Hier erst entscheidet sich, ob der Urlaub gut endet. Oder eben nicht.

Das Gepäckband ist ein schicksalhafter Ort zwischen Hoffen und Bangen. Kommt er oder kommt er nicht? Die flinken Fluggäste, die mit ihren Trollies die Pole Positions am Band okkupieren, haben einen gewissen Standortvorteil zum Kofferabgreifen.

Alle starren gebannt auf die kleine Luke, durch die gleich Koffer, Rucksäcke, Reisetaschen, Kisten und jede Menge Utos (undefinierbare Transportobjekte) von draußen hereinkommen müssen. Da, plötzlich, ein Ruck, das Band beginnt zu laufen. Sekunden später zeigt sich der erste Koffer, Typ kanariengelbe Schale mit blauen Griffen. Immer mehr Gepäckstücke ziehen vorbei, wie weiland die Gegenstände bei Rudi Carrells „Am laufenden Band“: Große und kleine, dicke und dünne, elegante und ordinäre, zu zweit, in Reih und Glied, als Paar oder als Single,dann wieder kreuz und quer. Ein proppevoller Rucksack verliert sogar die Balance und stürzt in der Spitzkehre herunter.

Ohne Vorwarnung beginnt ein Hauen und Stechen. Trotz Übermüdung und Jetlag machen Passagiere ungeahnte Kräfte frei, es wird gedrängelt und geschoben, geflucht und gemeckert. Manche Koffer drehen Ehrenrunden, ohne dass sich jemand für sie interessierte. Wo bleibt bloß meiner? Ist er im Bermudadreieck zwischen Mexiko-Stadt, Gander und Berlin-Tegel auf der Strecke geblieben? Muss der Urlaub erneut kofferlos enden? Nicht schon wieder eine Vermisstenanzeige bei „lost and found“!

Das Herz bummert schnell und schneller, die Augen tasten adlergleich das Band ab. Zu blöd, warum habe ich noch immer diesen Schalenkoffer in Anthrazit, Marke Samsonite, wie 35 andere hier auch! Vor der nächsten Flugreise, schwöre ich zum x-ten Mal, werde ich meinen Koffer regenbogenfarben überspritzen. Gott sei Dank, da kommt er ja endlich!

Reisende, fand ein Lufthansa-Psychologe studienhalber schon vor Jahren heraus, haben ein besonders inniges Verhältnis zu ihrem Koffer. Sein Inhalt sei „etwas vom eigenen Ich“. Wenn der Koffer nicht auftauche, sei das Leid des Kofferbesitzers unermesslich. Die Reisenden empfänden den Verlust als existenziell, „als ginge ein Stück vom eigenen Körper verloren“. Nichts komme einem schlimmer vor in diesem Augenblick. Recht hat der Lufthanseat! Kein Wunder, dass von den Fluggästen eine zentnerschwere Last abfällt, wenn sie ihren heiß ersehnten Koffer erspähen, ihn zärtlich vom Band hinunter- und auf den Kuli hinaufhieven. Haben die Gepäckarbeiter dich rüde behandelt? Bist du unverletzt geblieben?

Ach, die paar kleinen Kratzer sind nicht so schlimm! Hauptsache, du bist wieder da, mit all den schönen Souvenirs aus fernen Welten und der dreckigen Wäsche! Koffer und Körper sind, nach der gewaltsamen Trennung während des Fluges, endlich wieder eins. GÜNTER ERMLICH

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