BUNDESREGIERUNG LÄSST FORDERUNG NACH AUSGABENBEGRENZUNG FALLEN
: Gesundheitspolitik ohne Angstmacherei

Um drei Dinge dreht sich das ganze Leben: Macht, Geld, Liebe. Das hat Niklas Luhmann einmal gesagt. Lange vor der Gesundheitsreform. Seither sind die Dinge nicht einfacherer geworden.

Andrea Fischer – zur Erinnerung: So hieß bis vor drei Wochen die grüne Gesundheitsministerin – setzte auf die Macht. Selbstbewusst zeigte sie den Ärzten, dass der Staat die Kosten im Gesundheitswesen steuern kann. Das Angstmacherwort für die Doktoren hieß: Arznei- und Heilmittelbudget. Für den Fall seiner Überschreitung wollte Fischer sie in den kollektiven Regress zwingen. Obwohl juristisch von zweifelhafter Schärfe, entfaltete das Instrument in der Praxis ein enormes Drohpotential. Nur 11 der 23 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen haben ihr Arzneimittelbudget im vergangenen Jahr überschritten.

Warum also will die Neue im Amt, Ulla Schmidt (SPD), auf die heilsame Wirkung der Ausgabenbegrenzung verzichten? Aus Gründen der Opportunität. Das Wehklagen der Ärzte gegen die alte Ministerin und deren Gesundheitspolitik war zu laut geworden. Politisch eine unangenehme Situation für die SPD, denn die Ärzteschaft hatte sich bereits für den kommenden Wahlkampf gegen die Regierung positioniert. Deshalb ist Schmidt bereit, dieses zentrale Instrument der Kostensteuerung aus der Hand zu geben. Nun sollen die 23 regionalen Selbstverwaltungsstellen der Kassenärzte aus eigenem Antrieb und ohne staatlichen Druck einen wesentlichen Teil der Gesundheitskosten in der Balance halten. Die Ärzte sind begeistert. Auch wenn die Ausgestaltung der Richtgrößen noch völlig unklar ist, signalisiert Ulla Schmidt damit einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik.

Die euphorischen Reaktionen auf das Angebot von gemeinsamen runden Tischen – auch von den Krankenkassen und der Pharmaindustrie – zeigen eines: dass sich alle Beteiligten im Gesundheitswesen mehr Geld versprechen. Den Kassen steht das Wasser bis zum Hals. Eine Aufhebung der Arzneibudgets bedeutet mit Sicherheit höhere Ausgaben. Um Beitragserhöhungen käme niemand herum. Die neue Ministerin Ulla Schmidt wird wissen, welchen Preis ihr die Liebe der Gesundmacher wert ist.

ANNETTE ROGALLA