Blackbird, fly . . .

Amseln singen von der Schallplatte, Falken fliegen über die Leinwand: Der schwedische Künstler Henrik Håkansson zeigt seine akribisch gestalteten Naturinstallationen auf der berlinbiennale

von PETRA WELZEL

Ein Vogel müsste man sein. Man brauchte nur piep zu machen, und schon würde Henrik Håkansson alle Sensoren auf einen richten. Oder eine Wespe, die um die Bonbons auf seinem Ateliertisch brummt. Håkanssons ungeteilte Aufmerksamkeit wäre einem gewiss.

Vor Menschen hegt der Schwede dagegen eher Scheu. Vor allem vor Fotografen, weil er – zumindest der Ausbildung nach – selbst einer ist. „Ich will nicht fotografiert werden“, sagt er, während die Amsel seiner Installation im Studio II des Künstlerhauses Bethanien seinen leisen Widerstand mit ihrem Morgenlied fast erstickt. Seit September letzten Jahres nimmt der 33-jährige Künstler am Atelierprogramm des Hauses teil. Boris Kremer, der Håkanssons aktuelle Ausstellung betreut, findet: „Henrik, ich mag deinen Rücken.“ Gute Idee! „Ja, mein Rücken, das ist okay.“

Wirklich gern hockt sich Henrik nicht vor den Plattenteller mit der LP, auf die er das Lied der Amsel aus der Ritterstraße hat pressen lassen. 2.000-mal, an der Stirnwand stehen sie in schwarzen Hüllen. Zum Mitnehmen. Verkaufen kommt nicht in Frage. „Der Gesang der Vögel ist frei. Jeder kann ihnen zuhören. Außerdem habe ich die Amsel nicht gefragt, ob sie aufgenommen werden möchte.“ Auch den Wanderfalken vom Alexanderplatz hat der schmächtige Künstler in den ausgebeulten Jeans und dem weiten, schwarzen Hemd nicht um eine Aufnahmegenehmigung gebeten, als er ihn filmte. Jetzt dreht der Falke wie ein vom Wind wild gewordener Drachen seine Kreise auf einer Leinwand in den S-Bahn-Bögen der Jannowitzbrücke.

Håkansson ist einer der 48 Künstler, die die Kuratorin Saskia Bos zur „2. berlinbiennale“ eingeladen hat. Künstler, die ihrer Meinung nach das soziale oder globale Gefüge der Welt wieder zum Zentrum ihrer Arbeiten machen. Drohte der Welt mit einer Sintflut noch einmal ihr Untergang, würde Håkansson wie Noah wohl eine Arche bauen. An Bord: nur Tiere – Laubfrösche, Grillen, Wespen, Schmetterlinge, Vögel – und er selbst.

Es ist eine andere Welt, in der Henrik Håkansson lebt, selbst wenn man mit ihm denselben Weg teilt. Wo Überwachungskameras allerorts das Treiben der Menschen observieren, richtet er mit beinahe wissenschaftlicher Akribie seine Sinne, Minikameras und hochempfindlichen Mikrofone ausschließlich auf den Makrokosmos der Tierwelt. Jedenfalls macht er aus dem mikroskopischen Kleintierleben der Insekten makroskopische Filme. Nicht so wie in dem französischen Kinofilm „Mikrokosmos“, mit Streichquartetteinlagen und effektvollen Bildern. Eher mit dreistündigen Infrarotaufnahmen einer schlafenden Anakonda in Ecuador.

Im Bethanien zeigt Håkansson jetzt eine weitere Arbeit aus dem Regenwald. Knapp 30 Minuten verbringt man mit ihm in einer Forschungsstation mitten in den Tropen. Da ist nichts außer dem Zittern, Zirpsen und Zetern des Waldes. Einmal sieht man Håkansson von hinten am Arbeitstisch vor geöffneten Fenstern sitzen. Der Naturforscher in seiner Einsiedelei.

So sitzt er jetzt auch in seinem Kreuzberger Atelier. Die Fenster zum Mariannenplatz sind weit aufgerissen. Der Raum – kein Künstlerstudio, vielmehr eine Art Labor: Kameras, Mikrofone, Filmrollen, Stifte, Notizen, auf dem Kühlschrank eine fast leere Flasche Olivenöl, in der anderen Ecke ein halb voller Rucksack und ein schwarzer Turnschuh davor.

An der rechten Wand hängen Aufnahmen aus dem Düsseldorfer Stadtgarten, daneben aus dem Kieler Hafen. Neue Projekte. Seit 1996 lebt er nicht mehr in Stockholm, sondern aus dem Rucksack. Und am liebsten mit den Tieren. Auch wenn er wie zurzeit Berlin seine Basisstation nennt. Die Vögel hier haben es ihm angetan. Demnächst will er Kontakt aufnehmen zum Berliner Greifvogelschutzverband. Sechs Wanderfalken insgesamt soll es in der Stadt geben.

Was das ist, was er treibt, weiß Håkansson nicht zu beantworten. Ist auch nicht wichtig. Er macht das, was ihn antreibt. „Es hat mich schon als Kind beschäftigt, was um mich herum passiert.“ Als er noch an der Küste von Helsingborg lebte, wo er geboren und aufgewachsen ist. Schmetterlinge hat er lange gesammelt. Verstehen lernen möchte er die Tiere, kommunizieren mit ihnen. Kunstkritiker legen ihm das immer wieder als juvenile Ironie aus, wenn er wie etwa 1995 für Frösche eine künstliche Biosphäre schafft, Techno auflegen lässt und dann die Frösche rhythmisch im Sound mitquaken.

Doch mit jugendlicher Naivität oder Kleinejungskalkül haben die Beobachtungen und die Person einem gegenüber kaum etwas zu tun. Zum Klischee passen bestenfalls die störrischen braunen Haare ums schmale Gesicht und die trotzige Verweigerung eines Fotos. Håkansson ist gerade von einem Spaziergang zurückgekommen. Beglückt erzählt er, während er sich auf seinem Stuhl ein wenig hin und her dreht: „Ich bin in den Hinterhöfen rumgelaufen, dort, wo sonst niemand langgeht. Man sieht und hört dort viel mehr von den Menschen, was sie tun, wer Vogelhäuser hat.“ Um die Natur zu verstehen, müsse er in der künstlichen Natur der Stadt leben.

Alle Schüchternheit fällt von ihm ab, wenn er über seine Arbeit spricht. Dann geht der Blick seiner tief liegenden braunen Augen nicht noch weiter nach innen. Er zeigt Filme von älteren Installationen, Kataloge, erklärt. Zwei Monate im Regenwald campieren, nur lauschen und schauen. „Ich schaffe Prototypen. Ich weiß nicht wofür, es sind Vorschläge. Ich mag es, mit einem offenen Ende zu arbeiten.“

Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz, bis 13. Mai, Mi.–So. 14–19 Uhr