Auferstanden aus Skandalen

Heute wählen die Delegierten beim DFB-Bundestag in Magdeburg einen neuen Präsidenten. Das Schlechte dabei: Sie haben keine andere Wahl. Das Gute daran: Gerhard Mayer-Vorfelder wird kaum noch so viel Macht haben wie seine Vorgänger

Macht und Spiel vereint auf höchster Ebene und endlich befreit vom Mief der schwäbischen Provinz

von FRANK KETTERER

In Fällen wie diesem bedarf es bei Gerhard Mayer-Vorfelder kein ausformuliertes Vertragswerk. In Fällen wie diesem genügt ihm, wenn sich zwei Männer Wort und Hand geben und die Sache damit abgemacht ist, unumstößlich – und mindestens so fest besiegelt wie durch die Unterschrift auf einem Stück Papier. In diesem Fall hat Gerhard Mayer-Vorfelder, republikweit als „MV“ bekannt, mit einem Freund solch einen Handschlagpakt geschlossen. Kurz und schmerzlos, schließlich hatte die vertrakte Situation schnelles Handeln erfordert und MV von höchster Stelle die ehrenvolle Aufgabe übertragen bekommen, das Problem zu lösen. Also hat Mayer-Vorfelder das Problem gelöst – und den Freund zum obersten Fußballlehrer dieses Landes gemacht, per Handschlag wie gesagt und leichtfertig ignorierend, dass schon seit einiger Zeit wilde Gerüchte kursierten, die durchaus gegen Christoph Daum als Bundestrainer sprachen.

Ein paar Tage später wusste die ganze Republik Bescheid über Daums verhängnisvolle Vorliebe für schneeweißes Pulver. Und mit seinem Freund drohte es auch den großen MV hinabzureißen ins Verderben. Zu sehr hatte er seinen drogensüchtigen Freund protegiert, als dass er aus der Geschichte nun selbst noch würde einigermaßen heil herauskommen können; zudem war die Figur viel zu jämmerlich, die er bei der postumen Krisenbewältigung abgab. „Das schwäbische Headhunterle hat einen lausigen Job gemacht und einen Vorgeschmack gegeben, wie er künftig als Präsident zu wirken gedenkt“, frotzelte da die Süddeutsche Zeitung, während es die FAZ gewohnt staatstragend auf den Punkt brachte: „Nun ist er als DFB-Präsident endgültig untragbar.“

Natürlich ist das alles Schnee von gestern, aber doch noch keineswegs so lange schon hinweggetaut, als dass man es sich nicht in Erinnerung rufen sollte am Tag, an dem Gerhard Mayer-Vorfelder, 68, Jurist, ehemaliger Kultus- und Finanzminister Baden-Württembergs sowie Präsident des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart, zum obersten Boss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ausgerufen wird. Und der Schwabe wird, so viel steht fest, heute zum Nachfolger des erkrankten DFB-Präsidenten Egidius Braun gewählt werden beim Verbandsbundestag in Magdeburg, schon weil er der einzige Kandidat ist. Headhunterle? Untragbar? Geschenkt! MV wird seinen Kritikern eine Nase drehen, wieder einmal, weil sie es erneut nicht geschafft haben, ihm aus einer Affäre einen Strick zu flechten, der dick genug ist, um ihn daran auch noch aufhängen zu können.

So war das schon 1994 bei der Lottoaffäre, so war es ein Jahr später auch bei der Steueraffäre um Tennisvater Peter Graf, in die MV jeweils als Finanzminister verstrickt war; weitere drei Jahre danach schließlich kam der CDU-Mann ins Gerede, weil er für einen Vortrag vor der landeseigenen L-Bank, deren Verwaltungsratsvorsitzender er qua Finanzministeramt automatisch war, ein Honorar von 5.000 Mark eingestrichen hatte. Die Rücktrittsforderung der Opposition freilich prasselte ebenso an ihm ab wie vier Jahre zuvor das Amtsenthebungsverfahren.

Mayer-Vorfelder selbst scheint die eigene Skandalchronik ohnehin wenig zu beeindrucken, er anerkennt sie erst gar nicht als solche. „Wenn irgendetwas Dramatisches dabei gewesen wäre“, pflegt er zu beschwichtigen, „dann wäre ich doch nicht ungestraft davongekommen.“ So einfach ist das für MV. „Wenn ein Journalist meinen Skalp gebracht hätte“, sagt er trotzig, „wäre er doch geadelt worden.“

Mayer-Vorfelder trägt sein Haar noch. Aschblond ist es, was irgendwie passt zur übermäßigen Gesichtsbräune von der Sonnenbank. Ebenso wie die Rolex am Handgelenk und das Goldkettchen um den Hals. „Ich war immer ein Farbtupfer“, sagt der 68-Jährige, was noch nicht einmal eine Anspielung aufs patenhafte Äußere sein soll. „Ich war immer umstritten“, stellt MV das klar, die Rolle als Polarisierer gefällt ihm ohnehin. Die des Machers noch viel mehr. „Meine Erfüllung habe ich immer darin gefunden, etwas bewegen zu können“, umschreibt Mayer-Vorfelder sein Drängen zur Macht. Kultus- und Finanzminister in Stuttgart war er 20 Jahre lang für die CDU, an deren rechtem Rand er stets stürmte, fünf Jahre länger gar Präsident des VfB Stuttgart; nicht zu vergessen seine Pöstchen als Ligapräsident, DFB-Vize oder im Exekutivkomitee des Weltverbandes Fifa. Dass MV Letzteres im April 1998 verloren hat, darf man ihm getrost als schwere Schlappe anrechnen, all zu lange gegrämt hat sich der Schwabe aber auch darüber nicht.

„Fußball ist ein Stück meines Lebens“, sagt MV, mindestens so sehr wie die Politik. So gesehen dürfte er den sich heute vollziehenden Schritt nur als letzte Konsequenz empfinden: Macht und Spiel vereint auf höchster Ebene und endlich befreit vom Mief der schwäbischen Provinz. Zielstrebig darauf hingearbeitet hat der Oberstleutnant der Reserve allemal. Erst kürzlich tingelte er noch durch die DFB-Landesverbände, dort also, wo sich im Vorjahr noch heftig Opposition gegen ihn geregt hatte, schon weil MV bisher nicht gerade als glühender Kämpfer für das Amateurwesen galt. Mayer-Vorfelder, der als Politikprofi weiß, wie man Stimmen gewinnt, hat das Missverständnis beseitigt, die jährlich zehn Millionen Mark zur Talentförderung, die er den Landesverbänden versprochen hat, waren ein allemal überzeugendes Argument. „Wir hatten Zweifel“, wurde einer der Landesfürsten später zitiert, „aber er hat uns beeindruckt.“

Mayer-Vorfelder wird die Stimmen brauchen, jede einzelne, auch ohne Gegenkandidaten. Sie werden ihn stärken in seinem neuen Amt, das längst nicht mehr Glanz und Macht früherer Jahre ausstrahlt. Zwar wird der trinkfeste Schwabe zum Boss des weltweit mitgliederstärksten Sportverbandes gekürt, aber über die Regierungsgewalt seiner Vorgänger wird er kaum mehr verfügen, schon weil sich die 36 Profivereine hierzulande neuerdings als weitgehend autonome Einheit sehen, die sich da Ligaverband nennt. Ein „König ohne Macht“, spottete bereits der Spiegel, sei der neue DFB-Präsident, eine Sichtweise, die Mayer-Vorfelder keineswegs zu teilen vermag: „Ich sehe mich nicht als Präsident, der nichts mehr zu sagen haben wird“, erwidert er, und zeichnet trotzig den Gegenentwurf: Er, MV, als Steuermann auf großem Dampfer: „Wenn ich am Steuer stehe, läuft das Schiff nicht auf Grund.“

In Stuttgart dürfte man solchen Worten skeptisch gegenüberstehen. Ein Vierteljahrhundert steuerte MV den VfB, mehr noch: regierte ihn wie ein Feudalherr; bewilligte Spielern Millionengehälter und entließ nach Lust und Laune Trainer, 24 in 25 Jahren. Als MV letzten Oktober abdankte, war der Verein am Ende – belastet von 30 Millionen Mark Schulden und mit einem Bein in der zweiten Liga.