Indonesiens Angst vor dem „Gebet“

In Jakarta rufen die Anhänger des vom Parlament bedrängten Präsidenten Abdurrahman Wahid zum Massengebet, doch er hat bereits zu viele enttäuscht, um das ihm drohende Amtsenthebungsverfahren noch einmal abwenden zu können

aus Jakarta JUTTA LIETSCH

Vor dem Parlament in Jakarta winden sich Stacheldrahtrollen. Weiße und schwarze Plastikbarrikaden, mit Wasser gefüllt, stehen bereit. Die Polizei kündigt an, gegen gewalttätige Demonstranten von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Eltern wollen ihre Kinder Anfang nächster Woche nicht zur Schule zu schicken. Der Wert der Rupiah stürzt. In Indonesiens Hauptstadt wächst die Furcht vor Unruhen, sollten die Abgeordneten am Montag wie erwartet eine zweite Rüge gegen Präsident Abdurrahman Wahid aussprechen und damit die Amtsenthebung einleiten.

Der immer erratischer wirkende Regierungschef drohte vergangene Woche mit einem „nationalen Aufstand“, falls die Abgeordneten es wagen sollten, ihn erneut wegen seiner chaotischen Amtsführung und angeblichen Verwicklung in Finanzskandale zu rügen. Gegen das feindliche Parlament, in dem seine Partei nur 10 Prozent der Mandate hat, drohte Wahid mit der Wut der Straße: 400.000 loyale Anhänger würden nach Jakarta kommen, um das Amt ihres Führers zu verteidigen.

Wahids Anhänger stammen meist aus Ostjava und gehören zur größten muslimischen Organisation Indonesiens, der „Gemeinschaft der Religionslehrer“ (Nahdlatul Ulama, NU), deren Chef Wahid 15 Jahre lang war. Er werde an einem Gebet der NU teilnehmen, das am Sonntag vor der Parlamentsentscheidung im Stadion von Jakarta veranstaltet werde, kündigte Wahid an. Militante Mitglieder der „Banser“, einer NU-Schutzgarde, und der Gruppe „Verteidiger der Wahrheit“ erklärten, sie wollten Wahid „mit ihrem Leben“ beschützen.

Mit 42.000 Mann wollen Militär und Polizei die Abstimmung schützen, notfalls mit Schusswaffen, falls die Demonstranten – wie bei der ersten Rüge gegen Wahid im Februar – das Parlament stürmen wollten. Viele Indonesier sind entsetzt über diese Entwicklung. Wahid war einst als Gegner einer politischen Instrumentalisierung des Islam. Statt aber, wie er predigte, demokratische Institutionen zu stärken, erklärte er, die Abgeordneten hätten kein Recht, ihn zu kontrollieren. „Das alles ist sehr gefährlich“, sagt der frühere Religionsminister Malik Fajar. „Solche Massenveranstaltungen wie das Gebet am Sonntag können leicht von dunklen Kräften missbraucht werden, die Terror und Unruhe in Indonesien säen wollen.“

Wahids Drohungen brachten seine politischen Gegner nicht zum Einlenken, sondern verhärteten den Machtkampf im Parlament. Dort haben sich die Fronten inzwischen verschoben: Die Koalition rechter und städtischer Muslimparteien hinter Amien Rais, die Wahid im Oktober 1999 überraschend zum Sieg über Megawati Sukarnoputri verhalf, gehört heute zu seinen schärfsten Kritikern. Wie die ehemalige Suharto-Partei Golkar setzt diese Koalition jetzt darauf, dass Vizepräsidentin Megawati Wahid ablöst.