Suchen als Haltung

Wie wollen wir leben? taz-Chefredakteurin Bascha Mika über die Motivation des taz-kongresses – und das Gefühl des Unbehagens

von BASCHA MIKA

Bascha Mika hat gestern Abend in Berlin den taz-kongress „Wie wollen wir leben?“ eröffnet. Wir dokumentieren Auszüge aus ihrer Rede.

[. . .] Es geht um ein Gefühl des Unbehagens. Ein Unbehagen, das immer wieder aufkommt, wenn von Zukunft die Rede ist.

Einerseits erleben wir, dass so viel wie noch nie über eine neue Welt im Werden schwadroniert wird, über den technologischen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Wandel. Andererseits aber scheinen wir, die Menschen der Gegenwart, überhaupt nicht mehr mitzukommen bei dem, was passiert [. . .].

Gefragt wird nicht, was wir wollen. Verlangt wird nur, dass wir uns einstellen – auf das, was angeblich notwendig ist oder sowieso geschehen wird. Auf diese Weise nehmen wir Zukunft wahr als etwas, was auf uns zukommt – und weniger als etwas, an dessen Gestaltung wir aktiv beteiligt sind. Verkeilt im Hier und Jetzt ist unsere Perspektive der Tunnelblick, nicht der Ausblick [. . .].

Da soll einem nicht unbehaglich werden? [. . .]

Wie wollen wir leben? Dass ausgerechnet die taz diese Frage stellt und mit ihr einen Kongress gestaltet, lässt sich nur aus unserem Selbstverständnis erklären: Die taz versteht sich als linke Zeitung, die Selbstbestimmung und Gerechtigkeit als universelle Werte begreift und in ihrer Berichterstattung die gesellschaftlichen Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten aufzeigt, ja, die zum Einmischen und Handeln aufruft [. . .].

Der Aufklärungsgedanke, der dem zugrunde liegt, reflektiert dabei auch immer seine eigenen Grenzen. Die Grenzen des Fortschritts. Dabei gehen wir von einem gebrochenen, lernenden, sich korrigierenden Fortschrittsbegriff aus. Im Gegensatz dazu gibt es in der öffentlichen Debatte einen weit verbreiteten Gestus, Fortschritt mit einer Mischung aus Euphorie und Ergebenheit zu betrachen.

Die entscheidenden Fragen: Was wollen wir? Was können wir gestalten? Und was ist politisch und moralisch zu verantworten?, kommen dabei viel zu kurz. [. . .]

Zugegeben – diese Fragen haben keine Konjunktur. Aber es gehört zur taz, auch gegen die Konjunktur zu denken und zu schreiben, als linke Zeitung Gegenöffentlichkeit herzustellen. Denn Gegenöffentlichkeit bedeutet nicht nur, unterdrückte Nachrichten zu verbreiten, sondern auch, einem Thema dann Raum zu geben, wenn es quer zum Mainstream liegt. [. . .]

All die Fragen, die wir im Laufe des Kongresses stellen wollen, zeigen: Wir stecken mittendrin im Schlamassel. Jeder Tag beweist uns von neuem, dass unsere technischen und ökonomischen Möglichkeiten sich viel schneller entwickeln als unsere soziale Kompetenz: Unsere Fähigkeit, zusammenzuleben und soziale Institutionen aufzubauen, kann mit dem Tempo, das unser Erfindungsgeist an den Tag legt, nicht mithalten. Nicht zuletzt ist es diese Ungleichzeitigkeit, die das Unbehagen beim Blick auf Kommendes bestimmt. [. . .]

Ist es nicht naiv, fast kokett, ganz schön pathetisch und ziemlich vermessen, die Frage zu stellen: Wie wollen wir leben? Klar, dass wir das in den letzten Wochen immer wieder zu hören bekamen. Erinnert eure Frage nicht deutlich an Kant: Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Wäre es nicht auch eine Nummer kleiner gegangen?

Wahrscheinlich nicht. Denn ob mit Kant gefragt oder ganz schlicht mit der taz – was all diesen Fragen zugrunde liegt, ist eine Haltung des Suchens. [. . .]

Selbstverständlich haben wir nicht den Anspruch, überall Antworten liefern zu können. Aber vielleicht kommen wir, indem wir zuhören und nachdenken, indem wir uns mit anderen, neuen Sichtweisen konfrontieren, ja tatsächlich weiter bei unserer Suche. [. . .]