Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da

Der Berliner Marc Altmann fährt im Velodrom das erste Sechstagerennen seines Lebens. Dass er dabei leiden muss, ist völlig normal. So sind Sixdays

Es ist dies die goldene Nacht, und in ihr wird Marc Altmann, der Held dieser Geschichte, an seine Grenzen stoßen, irgendwann nach Mitternacht wird das der Fall sein. Der Mann mit dem Hammer wird dann kommen, wie das in der Szene so schön heißt, und er wird dem 21 Jahre alten Radrennfahrer aus Berlin einfach eins überbraten, mitten auf dem Holzoval des Velodroms und ziemlich genau zur Hälfte der großen Jagd, auf die ein paar tausend Zuschauer den ganzen Abend schon gewartet haben. Sie ist ja der Höhepunkt.

Marc Altmann wird dann, wenn die Jagd vorbei ist, von seinem weißen Rad steigen und müde aussehen, sehr müde sogar. Seine Augen werden tief in den Höhlen liegen und seine Wangen eingefallen wirken. Und gleich zweimal wird ein Arzt vorbeikommen und den 21-Jährigen dazu auffordern, etwas zu trinken und ein paar Salzstangen zu essen, um dem Körper Flüssigkeit und Salz zurückzugeben, die er während der großen Jagd verloren hat.

Marc Altmann wird sich also müde auf die Pritsche in seiner kleinen Koje fallen lassen und sein Pfleger alle Hände voll zu tun haben, die vom Schweiß glänzenden Beine wieder locker zu kneten, schließlich sind die Strapazen noch längst nicht vorbei, sondern Altmann wird gleich noch mal hinaus müssen auf die Bahn, obwohl er sich doch lieber etwas ausruhen würde in seiner kleinen Holzkoje, die ein bisschen aussieht wie ein aufgesägter Wohnwagen, ein sehr kleiner Wohnwagen allerdings, den Altmann sich auch noch mit einem anderen Fahrer teilen muss und der des Nachts, während die Rennen laufen, sein einziges Rückzugsrefugium ist auf dem sechs Tage währenden Rummelplatz im Velodrom.

Aber die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, schon gar nicht für einen Fahrer beim Berliner Sechstagerennen. Und also wird Marc Altmann, nachdem er die ärgste Erschöpfung überwunden hat, wieder aufs Rad steigen, dreimal noch in dieser dritten Nacht der diesjährigen Sixdays. Und wenn es dann endlich drei Uhr ist und die Rundenhatz endgültig vorüber, zumindest bis zum nächsten Tag, wird der junge Mann noch müder aussehen und Sätze sagen wie diesen: „Was mir hier abverlangt wird, ist 40 bis 50 Prozent mehr als all das, was ich sonst gewohnt bin.“

Dazu muss man wissen, dass Marc Altmann keineswegs irgendein radelnder Popanz ist, sondern schon zu Juniorenzeiten Weltmeister mit dem Bahnvierer war und Vizeweltmeister, dazu dreimal deutscher Meister sowie im letzten Jahr, seinem zweiten in der Männer-Klasse, Weltcupsieger in Malaysia. Altmann ist also ein Hoffnungsträger im mit Erfolgen gesegneten deutschen Bahnradsport. Und wenn 2004 in Athen olympische Medaillen ausgeradelt werden, könnte er durchaus mit von der Partie sein, jedenfalls träumt er nicht ganz zu Unrecht davon.

Man muss aber auch wissen, dass Marc Altmann im Velodrom das erste Sechstagerennen seiner Karriere fährt und dass es da nur ganz normal ist, dass einer „Lehrgeld bezahlt“, so jedenfalls sagt er das selbst. Denn mag rund um die Bahn auch das Vergnügen toben, bisweilen bis zum Exzess und auch darüber hinaus, so geht es auf ihr doch knallhart zu, im sportlichen Sinne natürlich, gerade für einen Novizen wie Altmann. „Es ist so hart, wie ich es mir vorgestellt habe“, sagt der junge Berliner; und ein paar Tage zuvor, noch bevor die Sixdays begonnen hatten, hat er erzählt, wie er es sich vorstellt: „Man ist immer am Anschlag, jeden Abend, bei jedem Rennen.“

Mit knapp unter 50 Stundenkilometern, wohlgemerkt im Durchschnitt, rasen die Fahrer über die Bahn; alle drei Runden, also alle 750 Meter, wechselt sich Altmann dabei mit dem Holländer Robert Slippen, seinem Teamgefährten, den er am ersten Renntag erst kennen gelernt hat, ab. Auf rund 200 Runden hat es Altmann bisher pro Nacht gebracht, macht gut 50 Kilometer volle Pulle, unterbrochen nur vom kurzen Einsatz des Partners – und den Pausen bis zum nächsten Rennen.

Harte Nächte sind das im Velodrom, und dafür, dass es sein erstes Sechstagerennen ist, schlägt sich Altmann wirklich wacker, ganz so wie er sich das vorgenommen hat: „Niemand soll behaupten können: Der ist aber schlecht.“ Wirklich niemand kann das behaupten.

FRANK KETTERER