Musterland mit kleinen Macken

„Wirtschaftskompetenz“ scheint Stoibers Trumpf, und sein Bayern mag ein erfolgreiches Bundesland sein – ein Wunderland ist es noch lange nicht

aus München OLIVER HINZ

„Mir san mir“, sagen die Bayern selbstbewusst, und viele wähnen sich in einem Land, wo Milch und Honig fließen. Eine gelungene Verbindung moderner Wirtschaft und Tradition. Der bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Edmund Stoiber, punktet damit bei den Bundesbürgern. Ihm trauen mehr als doppelt so viele wie Bundeskanzler Gerhard Schröder zu, die Wirtschaftsprobleme in Deutschland zu lösen, ergab das neueste ZDF-Politbarometer.

Vom rückständigen Agrarland mauserte sich der Freistaat zur High-Tech-Region. Noch 1950 arbeitete hier jeder Dritte in der Landwirtschaft, heute nur noch 3,8 Prozent. Bis 1956 zogen mehr Menschen aus Bayern weg als dorthin. Dafür floss damals Geld über den Länderfinanzausgleich in das arme Bundesland, das nur von der Fläche her das größte war.

Das CSU-Blatt Bayernkurier preist Stoiber als den „erfolgreichsten deutschen Ministerpräsidenten“. Zu Recht verweist seine Regierung darauf, dass Bayern über die letzten zehn Jahre gesehen das höchste Wirtschaftswachstum der alten Bundesländer erzielte. Selbstständige, Handwerker, Touristen – Bayern hat die meisten. Ein Viertel der deutschen Patente werden hier entwickelt. Ausländische High-Tech-Firmen zieht es in das größte Bundesland. Ihre Zahl stieg 2001 um 11 Prozent auf 1.030. Bayern wirbt mit viel Geld in Kalifornien und New York um Investoren und zählt zu den führenden Biotechnologieregionen Europas.

Auch im Ökolandbau führt der Freistaat. 38 Prozent der deutschen Biohöfe stehen in Bayern. Jeden Ökohektar fördert die Landesregierung mit 500 Mark, mehr als jede andere. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 270 Mark. Doch selbst solche Maßnahmen wollen bezahlt sein. Für 9,6 Milliarden Mark verkaufte Stoiber seit 1994 viele Unternehmensbeteiligungen des Freistaats. Fast das gesamte Tafelsilber ist darunter: die Bayerische Versicherungskammer, der Luft- und Raumfahrtkonzern Dasa, Bayerngas und das im Eon-Konzern aufgegangene Bayernwerk. Finanzminister Kurt Faltlhauser hatte mit den Eon-Aktien Glück. Er gab sie im vergangenen Sommer genau dann ab, als der Kurs am besten stand – Bayern hält noch immer 4,9 Prozent.

Riskante Kredite für Kirch

Das Geld aus den Privatisierungen steckte die Staatsregierung in Hoch- und Fachhochschulen, in den Technologietransfer, Kultur- und Ökofonds. Trotzdem hat Bayern die geringste Neuverschuldung aller Länder. Die CSU-Mehrheit im Landtag beschloss sogar ein Gesetz, nach dem ab 2006 auf weitere Kredite ganz verzichtet werden soll.

Richtig großzügig ist Faltlhauser nur, wenn es um den Medienmogul Leo Kirch geht. Als Vizechef des Verwaltungsrats der staatseigenen Bayerischen Landesbank billigte der Finanzminister einen riskanten Kredit für den Kirch-Konzern, der zwischen 5 und 7 Milliarden Mark liegt. Privatbanken schreckten vor dieser Summe zurück.

Wirtschaftsförderung ungewöhnlicher Art bekam das Nürnberger Rüstungsunternehmen Diehl. Ihm wurden 60 Millionen Mark Steuern erlassen. Zwei Beteiligungen der Firma an Rheinmetall und Krauss-Maffei wurden kurzerhand dem Privatvermögen der Familie Diehl zugeschlagen, so dass beim Verkauf keine Steuern anfielen. Das Geschenk wurde von oben gegen die zuständige Finanzbeamtin durchgedrückt.

Bayerns Staatskanzleichef Erwin Huber witzelt schon mal: „Den Wettbewerb um den Medienstandort Nummer eins machen nicht Köln, Hamburg, Berlin und München unter sich aus, sondern Ismaning und Unterföhring.“ In den kleinen Nachbargemeinden im Landkreis München sitzen der Kirch-Konzern und die Sender Antenne Bayern, ProSieben, Sat 1, Premiere World und EM.TV.

Die hohen Löhne sind Legende

Doch Achtung: So üppig wie in Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg, Bremen und Nordrhein-Westfalen ist der Durchschnittsverdienst in Bayern nicht. Der Freistaat liegt bei den Bruttolöhnen und -gehältern nur auf Platz sechs. 51.616 Mark verdiente der Normalbayer im Jahr 2000. Stoiber setzt auf den starken Staat in der Wirtschaftspolitik. Den Großraum München bevorzugt er, andere Regionen vernachlässigt er. Ganz düster sieht es im Nordosten Bayerns aus. Die Textil- und Porzellanindustrie sperrt hier einen Betrieb nach dem anderen zu. Rund 500 Millionen Mark sind in den letzten Jahren in die Region rund um Nürnberg geflossen, um die Lücken zu schließen, die Grundig, Adtranz, Philipps, MAN und AEG hinterlassen haben.

Die Arbeitslosigkeit schnellte in der Region Hof unter Stoibers Regierung nach oben. Seit Monaten meldet Hof den bayerischen Negativrekord. 2001 waren in diesem Arbeitsmarktbezirk im Schnitt 9,5 Prozent Menschen ohne Job. Damit ist die Arbeitslosenquote erstmals höher als bundesweit. In keinem alten Bundesland stiegen die Arbeitslosenzahlen so stark an wie im Freistaat. Von Dezember 2000 bis Dezember 2001 nahm die Quote für ganz Bayern um 12,1 Prozent zu. Mit 5,8 Prozent ist sie jedoch immer noch sehr niedrig.

Die SPD schimpft: „Was für Gesamtdeutschland Ostdeutschland ist, ist für Bayern Oberfranken.“ Die Grünen nennen die Bevorzugung der Region München gegenüber dem Rest des Landes das Matthäus-Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Nun will die ferne Münchner Regierung mit einem „Ertüchtigungsprogramm Ostbayern“ die enormen regionalen Unterschiede in der Wirtschaft beseitigen.

Misslungen ist Stoiber bisher auch die Rettung der Maxhütte in der Oberpfalz – trotz einer halben Milliarde Mark an Staatsgeldern für das Stahlwerk. Kürzlich legte die Regierung noch einmal Millionen nach. Sie verlangsamt zwar den Untergang der Stahlhütte, aber in neue zukunftsfähige Arbeitsplätze investiert sie hier nicht.

Stoiber überlässt die Wirtschaft nicht sich selbst. Er interveniert und lenkt gerne. So ist Bayern kein Land des Neoliberalismus, sondern des katholischen Dirigismus. Ein mächtiger Staat soll die Probleme richten. Wunder vollbringt der als Wirtschaftsexperte verschriene CSU-Chef zu Hause keine. Am steiler werdenden Wirtschaftsgefälle in Bayern ist er bis jetzt gescheitert.