Zeitgenössische Filme über Flucht und Migration im Abaton
: Reisende auf der Flucht

Filme, in denen es um Migration und Flucht geht, sind immer Erzählungen aus sicherer Distanz. Auch wenn sie um eine Binnenperspektive bemüht sind: In die Bedingungen der Produktion, aber auch der Rezeption von Filmen ist der „Blick von außen“ eingeschrieben. Wer flüchtet, macht selbst keine Filme und besucht selten ein Kino, so einfach ist das.

Selbst der US-amerikanische Western berichtete mit großem zeitlichen Abstand von den Unbilden im Leben der Pilgrim Fathers. Diesem Dilemma kann sich auch das Cinema beur oder Kino von Migranten der zweiten Generation andernorts nicht entwinden. Trotzdem lässt sich an fast jedem der acht zeitgenössischen Filme über Flucht und Migration, die das Abaton für seine Reihe „Ferne Lichter“ zusammengetragen hat, ein Ringen mit dem „Diktat des mitleidigen Blicks“ (Pascal Bruckner) entdecken, eine Suche nach solidarischer Darstellung.

Das gilt sogar für den Berlinale-Gewinner In This World (Foto), der seiner überbordenden Tränendrüsigkeit wegen schon viel Kritik geerntet hat. Denn trägt man von dem Film die dicke Schicht pathetischer Musik ab, kann man sehen, dass Michael Winterbottom sich konsequent zumindest einem Dispositiv des Diskurses über Flucht verweigert: dass jeder, der sich auf den Weg macht in eine der Nationen relativer wirtschaftlicher Prosperität oder politischer Stabilität, eine weinerliche Geschichte über seine Gründe zu erzählen hat, bevor ihm dort Aufenthalt gewährt wird.

Der 15-jährige Jamal und sein älterer Cousin reisen vielmehr, als dass sie aus einem Camp für afghanische Vertriebene fliehen. In This World unterwirft ihre Geschichte trotzdem nicht der vom Reiseroman geliehenen Konvention des Roadmovies, die besagt, die Beschwerlichkeit oder die Gefahren einer Reise wögen nichts gegenüber der Charakterstärkung ihrer Protagonisten. Ebenso auf eine Entwicklung seiner Flucht-Reisenden verzichtete Fritz Baumann für seinen Film Anansi – Der Traum von Europa.

Inzwischen lässt sich schon fast eine Liste mit eigenen Konventionen neuerer Filme über Flucht schreiben. Auf ihr müsste sich unbedingt die Verwendung einer Videokamera finden. Auch Hans-Christian Schmidts Episodenfilm Lichter verzichtet auf ihre Beweglichkeit zugunsten episch breiter Bilder. An der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt/Oder und Slubice entwirft er einen Reigen von Short-Cuts, deren Personal schon allein deshalb nicht Mitleid erregend ist, weil ihm der Ort einen erbarmungslosen Egoismus aufzwingt.

Über die Oder muss auch Valeri in England!. Auf der Suche nach seinem Freund Victor, der wie er in Tschernobyl lebensgefählicher Strahlung ausgesetzt war, begibt er sich nach Berlin, doch die britischen Inseln sind das eigentliche Ziel der Todgeweihten. Mit Lakonie und der immerwährenden Heiterkeit Valeris stemmt sich Achim von Borries Film gegen das potenzielle Mitleid der Zuschauer. Mitleid aus allen Rohren evoziert Lukas Moodyssons neuer Film Lilja 4-ever. Obwohl er einige Untiefen des Voyeurismus umschifft, gelingt es Moodysson nicht, seiner Figur, der minderjährigen Lilja , die von einem Ort in der ehemaligen Sowjetunion als Prostituierte nach Schweden verschleppt wird, etwas von ihrer Würde zu lassen. Aber man suche selbst. Jana Babendererde

Lichter: So (mit Gast) + Di, je 17 Uhr; Der edelste Teil (mit Vorfilm, Gästen und Publikumsgespräch): 20.10., 20 Uhr; Bashu, der kleine Fremde: 18.10., 13 Uhr, 19.10., 11 Uhr + 20. + 21.10., 17 Uhr; England!: 25.10., 13 Uhr, 26.10., 11 Uhr, 27.+28.10., 17 Uhr; In This World: läuft bereits, feste Termine: 30.10., 18.30 Uhr, 1.11., 13 Uhr, 2.11., 11 Uhr, 3. + 4.11., 17 Uhr; Anansi - Der Traum von Europa: 8.11., 13 Uhr, 9.11., 11 Uhr, 10.11., 20 Uhr, 11.11., 17 Uhr; Reise nach Kandahar: 15.11., 13 Uhr, 16.11., 11 Uhr, 17. + 18.11., 17 Uhr; Lilja 4-ever: Preview 23.11., 11 Uhr, Abaton; Vortrag „Demontiert die Europäische Union ihren Flüchtlingsschutz?“: Mo, 19 Uhr, Katholische Akademie