robin alexander über Schicksal
: Etwas Langes, etwas sehr Langes

Von der Schwierigkeit, eine afrikanische Giraffe in einem deutschen Taxi zu transportieren

Wir brauchen jetzt unbedingt ein Taxi. Da trifft es sich gut, dass wir am Bahnhof stehen, wo es ja immer Taxis gibt. Da trifft es sich schlecht, dass wir nicht nur zwei große Rucksäcke, zehn Flug- und acht Bahnstunden im Gepäck haben, sondern auch etwas Langes. Etwas sehr Langes.

„Was ist denn das?“, fragt der Fahrer des ersten Taxis.

„Das ist eine Giraffe“, gibt meine Freundin sachlich die gewünschte Auskunft.

„Kommt mir nicht in meinen Wagen“, sagt der Fahrer.

Ich gebe zu: Gegen die Idee, in Afrika eine Giraffe zu kaufen, habe ich mich zuerst auch gewehrt. Der Export eines so seltenen Tieres sei doch bestimmt verboten, argumentierte ich. Haustiere stünden zudem auf der unsere Beziehung konstituierenden, einhundert Punkte umfassenden Liste „Was wir gemeinsam hassen“ unter den Top Ten. Überhaupt: Was das wieder kostet! Und der Transport nach Europa: eine schiere Unmöglichkeit.

Papperlapapp, sagte meine Freundin, zivilisierte Menschen nehmen aus der Ferne etwas nach Hause mit, was sie später an ihre schöne Reise erinnern soll. Ein Souvenir. Ein Andenken. Eine Giraffe zum Beispiel.

„Muss es denn unbedingt eine Giraffe sein?“, appellierte ich ein letztes Mal an ihre Vernunft: „Können wir uns nicht wenigstens auf einen Elefanten einigen?“

Nein. Wir kauften also für 180 namibische Dollar eine durch unregelmäßig sternförmige, weit auseinander stehende dunkle Flecken für den Kenner leicht als Giraffa cameloparalis tippelskirchi, auch „Sterngiraffe“ oder „Massai-Giraffe“ erkennbare Holzfigur. Breite: 20 cm. Höhe: 200 cm.

Für Leser, die bei der Lektüre nicht so gerne mitrechnen. 200 cm entspricht nahezu exakt zwei Metern. Mit so einem Paket fällt man auf, sogar in Afrika, wo die Leute bekanntlich allerlei durch die Gegend tragen, manchmal sogar auf ihren Köpfen. Wir trugen die stoßfest in Zeitungspapier eingeschlagene Giraffe nicht auf dem Kopf. Trotzdem zeigten Kinder mit Fingern auf uns: „Onduli, Onduli!“, riefen sie, liefen ein paar Meter hinter uns her und lachten. „Onduli“ heißt „Giraffe“ auf Oshikwanyama. Nehme ich an. Vielleicht heißt es auch „Riesenpaket“ oder „Riesenblödmann“.

Wahrscheinlich heißt es Riesenblödmann, denke ich jetzt, nachdem ich eine Viertelstunde an einem vollen Taxistand mit schweren Rucksäcken, müder Freundin und langem Paket versuche, eine Fahrt nach Hause zu bekommen.

Was ist da drin?

Eine Giraffe.

Nicht bei mir!

Leser, die meine Demütigung nachempfinden wollen, wiederholen diesen Dialog bitte achtmal, krümmen dabei den Rücken und schreiten eine Autoschlange ab. Ob selbstständig oder angestellt, ob Türke, Student oder Frau, niemand, der in Berlin Taxi fährt, ist bereit, eine Giraffe zu transportieren. Es muss eine einschlägige Verordnung geben oder ein Gesetz. Wahrscheinlich noch aus dem Dritten Reich oder sogar von Kaiser Wilhelm, als man die Einfuhr volksfremder Tierarten und Kunstgegenstände auf diesem Weg zu unterbinden versuchte. Ich versuche es mit Humor:

Was ist da drin?

Ein sehr schlanker Elefant.

Willst du mich verarschen?

Okay: eine Giraffe.

Nicht bei mir.

In Namibia war alles kein Problem gewesen. „Onduli“, rief der Taxifahrer fröhlich, als wir uns mit unserem langen Paket näherten. Anstandslos nahm er bauliche Veränderungen an seinem Kleinwagen vor und kutschierte uns zum Flughafen. „Sure, no problem at all“, antwortete dort die Angestellte der Fluggesellschaft auf unsere besorgte Frage nach der Sicherheit des zerbrechlichen Gutes. Sie legte unser Paket nicht auf das Fließband, sondern übergab es einem extra herbeigerufenen Arbeiter. „Onduli?“, fragte dieser, und sie antwortete „Onduli“. Dann lachten beide.

Aber jetzt, nachdem 10.000 Kilometer, die Enge eines afrikanischen Kleintaxis und eine Flugreise überstanden sind, scheitert das Unternehmen am heimischen Bahnhof. Niemand aus dieser Flotte von elfenbeinfarbenen Schlachtschiffen der Marke Mercedes-Benz wagt, eine Giraffe einzuladen. Ich bin kurz davor, die Heckscheiben persönlich einzuschlagen, um die alle hier fürchten wie um ihre Augäpfel.

Da kommt ein neues Taxi, wieder ein Benz, mit einem Fahrer, der auf den ersten Blick aussieht wie alle anderen. Wir nähern uns samt unserer abschreckenden Last.

„Was ist da drin?“ Auch er zeigt auf unser Paket.

„Gir…“, antworte ich, da tritt mir meine Freundin auf den Fuß und sagt schnell:

„Onduli.“

„Oh“, antwortet der Fahrer und klappt einen Rücksitz um.

Was bedeutet „Onduli“ wirklich? kolumne@taz.de