Kirchlicher Widerstand stirbt aus

Das „Kölner Netzwerk“ verliert mit der Auflösung seines „Trägerwerks“ die finanzielle Grundlage. Immer weniger Katholiken engagieren sich in der kritischen Initiative für kircheninterne Reformen

Von Claudia Lehnen

Als die Protestbewegung zum ersten Mal in Erscheinung trat, hängte sie schwarze Luftballons in den Kölner Himmel. Zur Amtseinführung von Joachim Meisner als Kölner Erzbischof vor 16 Jahren war die Domplatte voll mit kritischen Luftballonträgern. Mahnend entschwanden die schwarzen, immer kleiner werdenden Punkte in den Wolken, während Meisner feierlich in den Dom einzog.

Manfred Brodeßer amüsiert sich über die anfänglich tolldreisten Aktionen der innerkirchlichen Widerstandsgruppe „Kölner Netzwerk“. Er lacht wie ein Mann, der sich zurück erinnert an seine Jugendstreiche, die ihm heute so fern vorkommen, dass sie fast nicht mehr zu existieren scheinen, auf die er aber trotz allem stolz ist. Etwas in seiner Stimme verrät jedoch Traurigkeit und Resignation. Heute, 16 Jahre nach den schwarzen Luftballons, scheint aus der einst lautstarken Reformbewegung die Luft raus zu sein. Die finanzielle Grundlage der Tätigkeiten „für eine geschwisterliche Kirche“, das 1993 gegründete „Trägerwerk“, befindet sich in Liquidation und wird bis September diesen Jahres abgewickelt.

Das Ende polterte nicht plötzlich um die Ecke, es kam schleichend, wie Brodeßer, Sprecher des Kölner Netzwerkes sagt. „Die Mitgliederentwicklung stagniert seit Jahren, die einen sterben weg, andere haben sich frustriert abgewandt“, berichtet der 56-Jährige. Aus einst 600 engagierten Luftballondemonstranten sind 330 „Senioren“ geworden. Junge Mitglieder kämen quasi keine nach. „Kirche ist nicht mehr in“, diagnostiziert Brodeßer desillusioniert. Aber auch das Interesse der Übriggebliebenen habe nachgelassen. „Die Reaktionen auf unseren regelmäßigen Rundbrief sind gleich null, wenn wir nicht ganz spektakuläre Themen haben, ist das Interesse der Mitglieder unzureichend“, sagt Brodeßer. Die Vereinsauflösung war also abzusehen. „Es hat ja keinen Zweck, so etwas im luftleeren Raum aufrecht zu erhalten“, sagt Brodeßer, hauptberuflich Leiter einer katholischen Grundschule in Vingst.

Die Gründung des „Kölner Netzwerkes“ im Jahr 1989 war eine Reaktion auf die undemokratische Neubesetzung des Kölner Bischofsstuhls. Der Vatikan setzte sich damals über das Votum des Domkapitels hinweg und betraute Meisner mit dem Amt des Erzbischofs. Damals war da genug Empörung, dass man glaubte, gleich mehrere hohe Ziele erreichen zu können. Entstauben wollten die Mitglieder, die zu einem Drittel hauptamtlich in der Kirche beschäftigt sind, in den Köpfen der konservativen Kirchenfunktionäre. „Kirche von unten“, war eines ihrer Schlagworte, sie traten ein für Abendmahlsgemeinschaften in der Ökumene, die Laienpredigt, engagierten sich im Kirchenvolksbegehren, forderten die Aufhebung des Zwangszölibats, setzten sich ein für eine kirchliche Schwangerschaftskonfliktberatung und das Frauenpriestertum.

Fragt man Brodeßer heute nach den Erfolgen der 16-jährigen Arbeit, so gehen ihm zunächst fast die Worte aus. Mit ihrem Ziel des Frauenpriestertums seien sie nie recht weiter gekommen, die Laienpredigt sei „auch weg vom Fenster“ und die Forderung, das Zwangszölibat aufzuheben, habe sich ohnehin von selbst erledigt, „da ja kaum noch Nachwuchs da ist“.

Von der Kölner Bistumsleitung wurde die Existenz des kritischen Netzwerkes offiziell gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Brodeßers Lachen ist sarkastisch. Nein, amtlich hätten sie im Grunde keine Erfolge verzeichnet, gibt er zu. Und trotzdem sieht er rückblickend doch ein Ziel erreicht: „Wir haben etwas im Bewusstsein der Menschen verändert. Heute werden Dinge praktiziert, die eigentlich verboten sind und Vorschriften von oben ignoriert.“ Vieles, auch das gemeinsame Abendmahl, werde einfach betrieben „ohne dass das an die große Glocke gehängt wird“.

Auch wenn das „Trägerwerk“ in Zukunft nicht mehr existiert und so kein Geld für große Aktionen und den Rundbrief in die Kasse kommt, wollen die übrigen Mitglieder die Idee des Kölner Netzwerks weiter tragen. Die Regionalgruppen sowie der Internetauftritt www.koelnernetzwerk.de werden bleiben. Schließlich sei Reformbedarf weiterhin da, „wir müssen nur andere Wege finden“, sagt Brodeßer. Wohin sie diese Wege führen werden, vermag auch er nicht zu sagen. Bei allem Optimismus – das Gespenst des endgültigen Endes geistert auch in Brodeßers Kopf umher: „Es gibt keinen Vorstand mehr, der Rückhalt fehlt. Alles befindet sich in einer Neufindung. Ob die gelingt, ist eine offene Frage.“