Schweden gehen trinken

Beim Biathlon-Weltcup in Oberhof gewinnt die schwedische Männerstaffel erstmals seit 1993. Ihr deutscher Trainer Walter Pichler hatte einen solchen Sieg erst in den nächsten Jahren vorgesehen

AUS OBERHOF MATTI LIESKE

Carl-Johan Bergman musste nicht lange überlegen, welcher Wintersport in seiner Heimat Schweden die Menschen am meisten begeistert: „Eishockey, Eishockey, Eishockey, Eishockey, Eishockey“. Was den Skisport betrifft, konnte sein Teamkollege David Ekholm etwas beisteuern: „Langlauf, und auch alpin.“ Dummerweise sind Bergman und Ekholm keine Spitzenkräfte im Puckbewegen und auch nicht darin, am kraftvollsten die Loipen entlangzuhetzen oder sich die Abhänge hinunterzustürzen. Sie sind Biathleten, und Biathlon, muss Ekholm traurig konstatieren, „ist in Schweden ganz klein“.

Zumindest bis gestern. Da schaffte Schwedens Biathlon-Staffel einen wahrhaft sensationellen Sieg beim Weltcup in Oberhof, den ersten seit 1993, und davor, so ihr deutscher Trainer Walter Pichler, hätten sie auch weitere 20 Jahre lang nichts gewonnen. Pichler strahlte fast wie ein nordischer Otto Rehhagel, als er den Überraschungscoup kommentierte. Mit einem „Plan“ im Gepäck sei er nach Schweden gekommen, der aber eigentlich erst 2006 bis 2010 greifen sollte. Den Sieg dürfe man aber nicht überbewerten, denn:„Wir sind auch künftig nicht Favorit, sondern haben eine Super-Außenseiterchance.“ Was bedeutet: „Wenn die anderen Fehler machen, sind wir da.“ Das Rennen wurde live im schwedischen Fernsehen übertragen, und Pichler ist sicher: „Das reißt uns richtig nach vorn.“ Allemal ein Grund zum Feiern, was der Trainerstab auch vorhatte, wie Pichler mit Otto-Grinsen verriet: „Die Sportler werden am Abend ins Bett geschickt – und wir werden was trinken.“

Beeindruckt von den Skandinaviern war auch der deutsche Schlussläufer Michael Greis, der dort, wo er letztes Jahr noch fahnenschwenkend den WM-Titel ins Ziel rettete, diesmal 35 Sekunden hinter Bergman als Zweiter ankam: „Bei denen hat alles funktioniert.“ Die Schweden waren die Besten am Schießstand – mit nur fünfmaligem Nachladen putzten sie alle 20 Scheiben weg – und präsentierten sich läuferisch stark. Eine solche Harmonie von Loipe und Knarre strebt auch das deutsche Team an, das in der Saisonvorbereitung vor allem versucht hatte, sich in der Loipe noch zu verbessern, um den dort übermächtigen Norwegern besonders bei der WM im März etwas entgegen setzen zu können. Vor allem der erfahrene Sven Fischer profitierte vor Weihnachten von der leicht veränderten Trainingsmethodik und holte sich drei Weltcupsiege. Ausgerechnet der 33-Jährige demonstrierte in Oberhof jedoch eindrucksvoll, dass die schönste Laufleistung nichts nützt, wenn es mit dem Gewehr hapert. Fünf Fehler beim Stehendschießen – dreimal Nachladen und zwei Strafrunden – warfen das deutsche Quartett im dritten Durchgang weit hinter die Schweden zurück.

Noch übler erwischte es die favorisierten Norweger. Die haben mit Lars Berger einen geradezu tragischen Fall im Team. Als Läufer fehlt ihm nur ein Quäntchen, um bei den Spezialisten ganz vorn landen zu können; als Biathlet ist er zwar extrem schnell, schießt aber so lausig, dass er als Trapper im Wilden Westen glatt verhungert würde. Mit sieben Fehlschüssen warf er sein Team weit zurück und sorgte dann noch für dessen Disqualifikation, als er eine heruntergefallene Patrone regelwidrig aufhob, ohne vorher das Gewehr umzuhängen.

Geschickter ging der deutsche Startläufer Daniel Graf mit unerwarteten Begebenheiten am Schießstand um. Als der benachbarte Slowene versehentlich eine seiner Scheiben wegschoss, blieb er cool, setzte eine eigene Patrone routiniert daneben, traf die anderen und legte als Dritter seines Durchgangs ein beeindruckendes Staffel-Debüt hin. Mit seinen 23 Jahren ist er im Biathlon noch ein Küken, auch wenn er nach kurzer Dauer seiner ersten Saison, in der er fest zum Weltcup-Kader gehört, gelegentlich wie ein Veteran daher redet. „Vom Halvard ist ja bekannt, dass er gern vorneweg stürzt“, wusste er zum Beispiel kundig über den norwegischen Konkurrenten Hanevold zu berichten, deshalb habe er zusammen mit dem Franzosen das Feld erstmal beruhigt. Graf trägt ein Grunge-Bärtchen, wie es Dirk Nowitzki gerade in der NBA populär zu machen versucht, spricht gern und ungeniert vom „Killerinstinkt“, den man als Biathlet brauche, und hört im Training Linkin’ Park, um eben diesen Instinkt zu fördern. Der fällige Verjüngungsprozess im deutschen Biathlon nach dem Abschied des Altmeisters Frank Luck ist nicht nur sportlich, sondern auch optisch und musikalisch in vollem Gang.