Ethnische Spannungen in England nehmen zu

Londoner Polizei meldet Zunahme von Übergriffen auf Muslime seit den Terroranschlägen. Regierung sucht Dialog

DUBLIN taz ■ Die Zahl der gemeldeten Verbrechen aus religiösem Hass in Großbritannien hat sich seit den Bombenanschlägen in London versechsfacht. In den drei Wochen nach dem 7. Juli, als 56 Menschen durch Attentate auf drei U-Bahnen und einen Bus starben, kam es in der britischen Hauptstadt zu 269 Übergriffen, Tätlichkeiten und Beleidigungen gegen Muslime. Im selben Zeitraum des Vorjahres wurden nur 40 Fälle gezählt, gab die Londoner Polizei bekannt. Landesweit wurden im Juli sogar mehr als 1.200 Fälle gezählt.

Ein Muslim in Nottingham wurde ermordet, mehrere Moscheen und muslimische Geschäfte wurden beschädigt. Dazu kommt ein brutaler Mord an einer Bushaltestelle in Liverpool vergangene Woche, als ein Schwarzer mit einer Axt totgeschlagen wurde; mit den Terroranschlägen hat dies jedoch wohl nichts zu tun.

Bei den meisten Vorkommnissen handelt es sich allerdings um Verbalattacken oder kleinere Handgemenge. Insofern sei der Polizeibericht mit Vorsicht zu genießen, warnen Kritiker: Muslime wurden auch vor dem 7. Juli beschimpft und bisweilen physisch attackiert, doch meistens wurde das gar nicht gemeldet. Da aber seit den Anschlägen in den Medien und von der muslimischen Führung immer wieder vor Übergriffen auf ethnische Minderheiten gewarnt wurde, seien diese Fälle möglicherweise stärker ins Rampenlicht gerückt.

Der stellvertretende Londoner Polizeichef Tarique Ghaffur sagte, die Wut unter jungen Muslimen sei größer als je zuvor. Sie seien vor allem erbost über die neue Taktik der Polizei, wonach Menschen willkürlich und ohne Angabe von Gründen auf der Straße festgehalten und durchsucht werden können. Das richte sich fast ausschließlich gegen Muslime und Leute mit dunkler Hautfarbe. „Das kann dazu führen, dass sich diese ethnischen Minderheiten vollkommen zurückziehen“, sagte Ghaffur. „Und das zu einer Zeit, in der wir ihre Mitarbeit und Unterstützung besonders benötigen.“

Seit den Anschlägen liege die normale Polizeiarbeit brach, fügte Ghaffur hinzu, weil viele Einheiten Beamte für die Anti-Terror-Einheit abstellen mussten. „Selbst die Untersuchung von Morden und anderen Schwerverbrechen bleibt liegen“, sagte er.

Im nordenglischen Oldham, vor vier Jahren Brennpunkt von Rassenunruhen, traf Hazel Blears, Staatssekretärin im Innenministerium, am Dienstag Vertreter muslimischer Organisationen. Weitere Treffen dieser Art sollen in anderen Landesteilen folgen. Blears versprach, dass die Polizei keinesfalls Muslime diskriminiere. „Die Anti-Terror-Maßnahmen sind nicht gegen irgendeine ethnische Minderheit gerichtet, sondern gegen Terroristen“, sagte sie. Die Leibesvisitationen basieren auf Erkenntnissen der Geheimdienste und nicht auf Hautfarbe.

Riaz Ahmed, während der Unruhen 2001 Bürgermeister von Oldham, sagte, Blears habe ihm beigepflichtet, dass es „mehr gute als schlechte Elemente“ in der muslimischen Bevölkerung gebe. „Wir brauchen eine selbstbewusste und positive muslimische Gemeinschaft, um der Polizei und den Geheimdiensten helfen zu können, die extremistischen Elemente auszusortieren“, sagte er. RALF SOTSCHECK

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