Wer die Häfen hat, hat die Staatskasse

■ Das libanesische Kabinett debattierte in der vergangenen Woche über Möglichkeiten zur Beilegung der schweren Finanzkrise / Die Milizen kassieren in den Häfen eigenmächtig Zölle / Libanons Regierung kommt mit der Neuformulierung der Verfassung nicht voran / Der Streit dreht sich um die Beziehungen zu Syrien

Aus Beirut Petra Groll

In der vergangenen Woche tagte zum ersten Mal nach mehrmonatiger Pause das libanesische Kabinett. Der Kern der Diskussionen, die die Ministerrunde mit dem Ziel der „Rettung des Libanon“ im schwerbewachten Beiruter Hippodrom führte, war die von den moslemischen Ministern geforderte Festschreibung „besonderer Beziehungen“ zum Nachbarland Syrien. Die christlich–maronitische Seite will auf keinen Fall eine solche Klausel in der neu zu verhandelnden Verfassung des Libanon aufgenommen wissen. Die libanesische Tageszeitung An–Nahar berichtete über einen heftigen Wortwechsel auf einer Sitzung des Kabinetts vor einer Woche, in der Justizminister Berri nicht nur „besondere“, sondern gar „vertrauensvolle“ Beziehungen zu Syrien gefordert hatte. In der sich anschließenden Diskussion habe der christliche Finanzminister Chamoun geäußert, er habe diesen Streit satt und würde sich am liebsten ganz zurückziehen. Der pro–syrische Minister präsident Karameh habe jedoch auf der Fortsetzung der Runde bestanden, schließlich sei noch Gesundheitsminister Al Hashem da, der den christlichen Standpunkt unterstützen könne. Doch der beeilte sich festzustellen, daß er niemanden außer sich selbst vertrete. Diese für ein Regierungsmitglied reichlich absurde Aussage kennzeichnet die Schwierigkeiten, mit denen die zehn Minister des „Kabinetts der nationalen Rettung“ sich herumschlagen müssen. Von einer Neufassung der seit mehr als einem Jahrzehnt umkämpften Verfassung des Libanon - was die einzig mögliche Grundlage für Frieden im Lande ist - sind die Minister noch weit entfernt. Nach einer Spaltung innerhalb der christlichen Einheitspartei und der darauffolgenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen ihrem pro– und dem anti–syrischen Flügel hat nun letzterer die Oberhand im christlichen Lager. Die Vertreter dieses Kurses wehren sich gleichzeitig gegen die Festschreibung des „arabischen Charakters“ des Libanon. Die moslemische Ministerfraktion beharrt jedoch auf dieser Formel. Die Christen wehren sich dagegen, weil sie sich ohnehin als gottgewollte Herrscherklasse betrachten und ihre Wurzeln bei den Kreuzrittern oder gar den antiken Phöniziern, auf jeden Fall im Abendland, sehen. In diesem Streit ist bisher kein Einlenken der einen oder anderen Seite in Sicht. Leere Staatskasse Dringlichstes Anliegen der Ministerrunde, die im Oktober vergangenen Jahres jeden Dialog abgebrochen hatte, ist derzeit aber, das Land vor dem absoluten finanziellen Absturz zu bewahren. Der Direktor der obersten Zollbehörde legte in der vergangenen Woche einen alarmierenden Bericht vor. In diesem Jahr werde die Staatskasse nur 300.000 Dollar an Zöllen einnehmen. Das Staatsbudget, das früher zu 40 Prozent aus Zöllen gedeckt wurde, umfaßt jedoch im gleichen Zeitraum 600 Millionen Dollar. Die Zolleinkünfte stammen aus fünf Quellen: dem Hafen von Beirut, dem Übergang Masnaa an der syrischen Grenze im Osten, dem Übergang Abboudieh an der Nordgrenze zu Syrien und den beiden anderen Häfen Djounieh und Tripoli. Der Libanon ist ein extrem importabhängiges Land. Fast alle Güter des täglichen Bedarfs wurden bis zur israelischen Invasion 1982 über die staatlichen Häfen Tripoli, Djounieh, Beirut, Saida und Sour ins Land gebracht. Das Kabinett verkündete seine Absicht, die in den Bürgerkriegsjahren entstandenen 15 illegalen Häfen, notfalls mit Hilfe von Polizei und Armee, zu schließen. Seit 1983 ist dies der dritte Anlauf, den verschiedenen Milizen, die dort abkassierten, einen Strich durch ihre Rechnung zu machen. Doch letzten Dienstag wurde das Dilemma der Minister, deren wichtigste zugleich oberste Befehlsgeber der Milizen sind, deutlich: Walid Djunblatt, Drusenfürst, Verkehrsminister und Chef der Drusenpartei PSP, erinnerte an eine angebliche Vereinbarung für den Fall, daß die illegalen Häfen geschlossen werden sollten. „Ich stimme der Schließung dieser Häfen voll zu“, erklärte er. „Allerdings habe ich hier im Hafen 5.000 Angestellte, die monatlich zehn Millionen libanesische Pfund kosten (20 Pfund entsprechen einer DM, die Red.). Was soll ich mit denen machen?“ Wer zahlt die Milizen? Darauf Justizminister und Schiiten–Chef Berri: „Haben wir uns nicht darauf geeinigt, daß der Staat dann monatlich 15 Millionen Pfund an Amal, zehn Millionen an die PSP und 40 Millionen an die Christenmiliz zahlen soll?“. Die Milizchefs fordern also nichts weniger als daß der Staat, wenn ihm die Zolleinnahmen wieder zufließen, die Finanzierung der Milizen übernehmen soll. Die anderen Minister, die über keine einflußreichen Milizverbände verfügen, wollten von einem solchen Übereinkommen selbstverständlich nichts wissen. Was passiert, ist ungewiß, nichtsdestoweniger zeigte sich Zolldirektor Haidar nach der Kabinettssitzung optimistisch. Die freie Beiruter Devisenbörse, das bewährte Barometer für die innenpolitische Lage, führte Haidars Haltung am nächsten Tag ad absurdum. Der Dollar kletterte um einige Punkte nach oben. Das Importgewerbe klagt über die wachsenden Kosten, und einige Lebensmittel, so war zu lesen, sind auf dem libanesischen Markt nicht mehr aufzutreiben. Devisen zu besitzen, ist zum Schlüssel für individuelle Prosperität geworden; die Diskrepanz zwischen arm und reich wird fast täglich größer. Sowohl in Ost–Beirut wie auch im Westen der Stadt kann man Leute bei ihren Einkaufstrips in den Modegeschäften, die das Neuste aus Paris, Mailand oder New York bieten, bestaunen oder sie bei ihren Gelagen an den Swimmingpools der Luxushotels und nachts in den Restaurants oder Bars beobachten. Für die Mehrheit der Libanesen aber sind Verwandte im Ausland, selbst wenn sie nur wenige Dollars schicken, die einzige Garantie gegen die Verelendung geworden. Bei einem Durchschnittslohn von umgerechnet 100 DM haben die meisten Beamten oder Angestellten im öffentlichen Dienst zwei oder drei Jobs. Die Banküberfälle - in Beirut mindestens einer pro Tag - werden so schnell nicht aufhören.