Frankreichs Immigranten fürchten „Rache“

■ Paris gewöhnt sich an die Attentate / „Ganz Afrika“ dafür verantwortlich / Aus Paris Antje Bauer

„Herr Polizeibeamter, hören Sie, ich habe eine Vorladung, ich muß da rein!“ - „Und ich erst, mein Paß läuft ab!“ - „Wie haben Sie sich das eigentlich vorgestellt, soll das die ganze Zeit so weitergehen?“ Vor der Pariser Polizeipräfektur ist was los. Am Montag ist hier eine Bombe hochgegangen, in der Führerscheinstelle, die immer gerammelt voll ist. Ein Toter und 51 Verletzte ist die traurige Bilanz, zu der sich inzwischen die „Partisanen für Recht und Freiheit“ bekannt haben. Aber Anschlag hin, Anschlag her, die Franzosen brauchen trotzdem Führerscheine und die Ausländer ihre Aufenthaltsgenehmigungen, und so stehen am Dienstagnachmittag wieder Hunderte in einer Schlange, die sich nur mühsam vorwärts bewegt, weil rigorose Kontrollen vorgenommen werden. „Ich wäre auch beinahe dort gewesen, als die Bombe hochging“, vertraut mir ein älterer Mann an. „Aber ich bin aufgehalten wor den. Meine Frau hat zu mir gesagt: „Da hast du aber Glück gehabt.“ - „Jetzt tun sie was gegen die Terroristen, aber jetzt ist es zu spät. Jetzt sind die ganzen Araber schon da. Die Sozialisten haben damit angefangen, ganz Afrika hier herzuholen, jetzt braucht man sich nicht zu wundern, wenn überall Bomben hochgehen!“ Daß die Araber „an den Bomben Schuld haben, davon sind auch die beiden alten Damen überzeugt, die im Cafe am Boulevard Saint–Germain ihren Milchkaffee schlürfen und in den Regen schauen. „Da hat neulich bei dem Attentat auf den Pub Renault so ein junger Beamter sein Leben lassen müssen, der Arme. Bloß, weil ein paar Verrückte hier sind. Die muß man alle hier rausschmeißen. Jetzt machen sie überall Kontrollen. Aber sie sollten auch die Frauen untersuchen, an die Frauen denken sie nicht“, meint eine resolute kleine Frau und sieht sich Zustimmung heischend nach mir um. Die Kontrollen, die Premierminister Chirac mit entschlossener Stimme am Sonntag angekündigt hat, finden tatsächlich überall statt. Am Flughafen müssen Ausländer, die nicht Mitglieder der EG, der Schweiz oder nordafrikanischen Länder sind, ein Papier mit ihren Personaldaten ausfüllen, besondere Schalter sind für sie eingerichtet worden. Von langen Schlangen kann gleichwohl keine Rede sein. Auch die Soldaten mit der MP im Anschlag, die ich zu sehen erwartet hatte, fehlen. Nur die Einsatz–Polizei CRS sei ihnen beigestellt worden, erzählt ein junger Grenzbeamter. Aber Taschenkontrollen gibt es bei der Buchhandlung „Gibert Jeune“ am Boulevard Saint Michel zum Beispiel, wo im Februar eine Bombe hochging. „Ich könnte aber in meiner Jackentasche bequem eine Bombe reinschmuggeln“, halte ich dem Türsteher entgegen „Kann schon sein“, meint er, „aber diese Kontrollen beruhigen die Leute.“ Auch im Pub Renault, wo am vergangen Samstag eine Bombe hochging, die mittlerweise einen Toten gefordert hat sowie zwei Schwerverletzte, die noch im Koma liegen, wollen zwei junge Herren meine Taschen begutachten. Der Pub Renault ist eigentlich ein Autosalon mit einer Kuschelecke, direkt an der Pracht–Avenue Champs Elysees gelegen, kann das Betrachten der neuesten Renault–Modelle mit einem Kaffee verbunden werden. Normalerweise ist er ein gut besuchter Treffpunkt von Jugendlichen, aber drei Tage nach dem Attentat ist er fast leer. Fünf rotbefrackte Kellner stehen hier rum. Sie sagen: „Fürchten Sie sich nicht“, ich werde an den Patron weiterverwiesen. „Kein Kommentar“, sagt dieser mit versteinerter Miene, „Ich habe nichts zu sagen“. Auftrieb für Araber–Haß Eine andere Gruppe hat sich aber nun entschlossen, zu den Attentaten Stellung zunehmen, denn sie sind in ganz besonderer Weise betroffen: die arabischen Emigranten, auf die das französische Trauma über die „terroristischen Araber“ zurückfällt. Verschiedene Gruppen hatten sich am Mittwoch zum Platz Fleury–Merogis aufgemacht, um den dort einsitzenden mutmaßlichen Chef der FARL, Ibrahim Abdallah, einen offenen Protestbrief zu überreichen (siehe Kasten), denn in diesen Wohnvierteln der Goutte dOr oder La Defense, sind nun die Polizeikontrollen schärfer geworden, Razzien werden durchgeführt, Leute auf ihre Papiere überprüft. „Mein Bruder ist vor wenigen Tagen festgenommen worden, bloß weil er wie der FARL– Chef Abdallah heißt“, erzählt Mogniss Abdallah von der Emigranten–Agentur „ImMedia“. Von dem Araberhaß der Franzosen nicht zu reden, der nun wieder Auftrieb erhält und von dem Mitgliedern der rechtsrextremen Front Nationale erfreut aufgegriffen und hochgekocht wird. Dennoch gleicht Paris nach einer Woche mit fünf blutigen Attentaten weniger einer belagerten Stadt als Berlin im Deutschen Herbst 1977. Hier und da mal Polizei auf U–Bahnhöfen, Wannen der CRS auf dem Champs Elysees und leichte Verkehrsbehinderungen dort, denn das „Solidaritätskomitee für die arabischen und nahöstlichen politischen Gefangenen“ CSPPA haben soeben gedroht, eine Aktion des dort gelegenen Sitz des Präsidenten durchzuführen. Die Metro ist überfüllt, auf dem Champs Elysees flanieren die Touristen, die Kinos sind gut besucht. Jede U–Bahnfahrt, jeder Kaufhausbesuch kann den Tod bringen. Darüber wird geredet, gewitzelt, da wird über die Frage diskutiert, ob Chirac oder Fabius den Franzosen das eingebrockt hat - der Tod ist möglich, aber im täglichen Leben so fern.