„Ja, es gab Straßenaktionen“

■ Olga Medwedkova berichtete über Proteste in der Sowjetunion nach Tschernobyl

Herausragend unter den vielen Berichten und Referaten der Wiener Konferenz war der Beitrag von Olga Medwedkova. Frau Medwedkowa war am 19. September mit ihrem Mann Juri und ihren Kindern aus der Sowjetunion ausgewiesen worden. Sie gehörte dort einer unabhängigen Friedensgruppe an. Die Gruppe habe zuerst nur gegen Atomwaffen und Aufrüstung gearbeitet. Erst als über eine westdeutsche Delegation der Grünen Material zu AKWs eingeschleust worden war, habe man sich damit beschäftigt. Kurz darauf sei der Unfall von Tschernobyl passiert. In den ersten zwei bis drei Tagen danach habe es so gut wie keinerlei Informationen für die Menschen in der UdSSR gegeben. Auch zu einem späteren Zeitpunkt sei es für die Bevölkerung nicht möglich gewesen, Strahlenmessungen durchzuführen, die Geräte seien ihnen verweigert worden. Frau Medwedkowa wies nochmals auf die Dimensionen des Unfalls hin und schilderte dann die Aktionen ihrer Gruppe: „Ja es gab Straßenaktionen in der Sowjetunion, und das ist nicht einfach bei uns. Auch unsere Gruppe wollte auf die Straße, aber der KGB hat das zunächst unterbunden. Wir haben Plakate gemalt, auf denen eine Hand zu sehen war, die von einer Schlange gebissen wird. (...) Am 31. Mai gab es dann eine erfolgreiche Straßenaktion mit der Hand. Wir konnten uns treffen mit unseren Plakaten und uns 20 Minuten versammeln, und wir konnten 40 Unterschriften sammeln, das ist sehr viel. (...) Es gab Verhaftungen. Sechs Mitglieder mußten zur Miliz und es gab einen tragischen Fall: Larisa Chukajeva ist zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Danach gab es dann zwei weitere Straßenaktionen von westlichen Demonstranten aus den USA und Großbritannien. Sie haben Informationen verteilt, wie man sich vor Strahlenschäden schützen sollte. (...) Im August haben wir dann in der Nähe des Gorki–Parkes nochmals Flugblätter verteilt. Die Menschen rissen sich förmlich darum. In wenigen Minuten waren die Flugblätter weg. Die Verteiler wurden dann festgenommen, aber nur zwei Stunden von der Miliz festgehalten. Das ist eigentlich sehr wenig. (...) Und es hat einen Offenen Brief gegeben an die politischen Führungskräfte. Wir haben verlangt, daß alle sowjetischen Atomkraftwerke stillgelegt werden, bis die Ursachen der Katastrophe genau untersucht worden sind.“